geträumt: wir bekommen eine neue katze, aber sie ist winzig klein, nicht größer als eine reißzwecke. als sie zufällig ins wasser fällt entdecken wir, dass sie eigentlich eine art fisch ist. während sie sich an land eher mühsam und schwerfällig bewegt, schwimmt sie behend und elegant im wasser, ihr unscheinbarer körper ent-puppt sich im wasser als ein filigranes gebilde mit vielfältigen, weit-schweifenden flossen, die unendlich zart sind. – ein dicker mann unterhält sich mit mir, es scheint ihm übel zu sein. er steht mir gegenüber, ich sitze in einem beigen sessel, der raum ist sehr distinguiert eingerichtet, hinter ihm geht eine tür in einen weiteren raum, sie ist geöffnet. wir sprechen darüber, wie wir am vortag zusammen im wald waren und einem wildschwein begegneten. er könne sich nicht mehr erinnern, wie das zusammentreffen ausgegangen sei. wieder stößt er auf. ich nehme die zeitung zur hand, die auf dem tisch vor dem sessel liegt, schlage sie auf und beginne zu lesen. beifällig frage ich ihn, was er denn glaubt, heute mittag gegessen zu haben. die antwort ist klar: das wildschwein. offensichtlich war sein fleisch nicht sehr bekömmlich. ich weiß nicht, ob ich ebenfalls davon gegessen habe, mir geht es gut.

beim aufräumen entdeckte ich ein weiteres begonnenes tagebuch, verstreute aufzeichnungen aus dem jahr 1998. es scheint so, als hätte ich seit cirka 1997 versucht – „unstet aber um stetigkeit bemüht“ – ein tagebuch zu führen. freilich wird immer wieder die eigene beschränktheit deutlich, wenn man die zeilen nach zehn, zwölf jahren wieder liest, aber zugleich kann eine entwicklung abgelesen werden. wie viel hätte ich notieren können, ich erinnere mich ja an unzählige gedanken, die ich spann, während ich wartete (auf das ende der schulstunde, das eintreffen des buses, den schlaf am abend, …), aber mir wurde erst im laufe der jahre bewusst, was man alles aufschreiben kann und muss, ja dass ich hätte alle diese einfälle aufschreiben müssen, um sie festzuhalten, um sie zu dokumentieren, um das schreiben zu üben, um seiten zu füllen (was das selbst-bewusstsein immer stärkt). außerdem braucht man wohl auch einige jahre (und ich hoffe: der prozess ist noch nicht beendet …), um sehen zu lernen. schildere einfach deine eindrücke, die du während des tages hast, deine sehnsüchte, träume, wünsche, … ein tagebuch ist kein ort der bilanz, kein ort besonderer darstellung, darin darfst du sein, wie du bist (und dich so trotzdem – oder womöglich: darum? – ändern). von wegen: tagebuch schreiben nur mädchen. das hat mich jahrelang davon abgehalten, selber eines zu schreiben. aber dennoch gab es immer wieder den impuls, eines anzufangen und über alle abbrüche hielt er stand, immer wieder fing ich an. oder sollte man lieber sagen: immer wieder setzte ich es fort. ein tage-buch muss ja nicht täglich geführt werden. die emanzipation von gedachten, imaginierten ansprüchen. wenigstens für mich kann ich festhalten: ich werde mir selbst, meinen wünschen, sehnsüchten und meinen mängeln, fehlern erst über das medium eines textes bewusst. insofern ließe sich das schreiben als ein weiteres sinnesorgan bezeichnen, ohne das ich wie blind oder taub durch die welt liefe. soweit ich mich erinnere, wurde lediglich anne franks tagebuch im deutsch-unterricht einmal behandelt, aber weniger um des genres willen als vielmehr wegen nationalsozialismus und shoa. vielleicht gab es irgendwann noch einmal eine stunde, um die text-sorte tagebuch vorzustellen, aber auch da nur in eher abstrakter form, bezüge und beispiele von großen diaristen wurden nie gemacht. friederike mayröckers diktum schreiben sei lesen, das zum schreiben anrege – es gilt auch für das tagebuch: samuel pepys, goethe, jünger, thomas mann, cibulka, … die reihung ist zugegeben willkürlich. um herauszufinden, welche art des tagebuch-schreibens die geeignete für einen ist, muss man zunächst wissen, was in diesem genre möglich ist und versucht wurde. die emanzipation von der tradition beginnt mit ihrer genauen erforschung; die ansprüche, die man in sich spürt, sind dabei zumeist teil der tradition, ohne dass man sich dessen sonderlich bewusst wäre: sie beginnen bei bestimmten vorstellungen, wie ein gedeck auszusehen hat, wie ein tagebuch zu führen ist usw. und enden etwa bei bestimmten vorstellungen, wie eine liebes-beziehung aussehen muss, was sie enthalten muss, welche formen gestattet und welche tabu sind. (…) – … was ich hätte alles aufschreiben können, aber einesteils wusste ich nicht, wie wertvoll die niederschrift einfacher beobachtungen sein können (eine busfahrt an einem wintermorgen, weil mit dem auto kein durchkommen war), einesteils fehlten mir vorbilder und ausdrucksvermögen, einesteils war ich viel zu sehr auf mich und die anforderungen der schule fixiert: ich lese passagen, die verdeutlichen sollen, wie sehr ich doch wertgeschätzt werde. wenigstens unterließ ich es, erörterungen zu leistungskontrollen, klassenarbeiten, klausuren anzustellen. außerdem hatte ich eine scheu vor dem festhalten von zuneigungen (…). meine texte sollten etwas hermachen, deshalb stellte ich fortwährend überlegungen an und machte grafische entwürfe, aber dabei blieb es, weil vermutlich auf diese weise jeder elan versiegte. man muss einfach zu schreiben beginnen. text produzieren, sei er schlecht, sei er besser. anders als durch schreiben kann man es nicht lernen. die form des tagebuchs (und erst recht des blogs) bietet dafür eine geeignete hülle: jede art text kann man hier einfügen, man kann anfangen, fortsetzen, abbrechen, neu beginnen – der (tagebuch-)text wächst immer, jede geschriebene zeile verändert dich, bereichert dich, erweitert deine fähigkeiten. und wenn du über außerirdische und astronomie schreiben willst, wo du noch eben eine szene aus dem klassenzimmer geschildert hast – dann tu’s. tu’s. aus dem disparaten der einzelnen eindrücke ergibt sich ein äußerst differenzierter, polyphoner gesamt-eindruck, den man vermutlich mit keinem geschlossenen text so erreichen kann. selbst wenn ich nur diese tagebuch-blätter hinterließe mit so vielen verschiedenen texten, die zugleich ein immer dichter werdendes netz an bezügen knüpfen, sowohl untereinander als auch nach außen, selbst dann wäre mein leben, so scheint es mir, während ich jetzt aus dem fenster sehe, an der pergola vorbei auf die linde, den bergahorn und weiter hinten das tal des schwarzwassers, das sich in die untergehende sonne nach böhmen hin verjüngt, alles andere als: vergeben und vergeudet. einfach anfangen und schreiben: beobachtungen, befindlichkeiten, erörterungen, anekdoten, geschichten, gedichte – kreuz und quer: das tagebuch als ein text-generator. jede neue zeile, jede neue seite verstärkt die lust zum weitermachen. je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr erinnere ich mich an notierenswertes, desto trauriger werde ich über die verflossene zeit. nicht nur dass ich sie nicht genutzt habe (und sei es für ein tagebuch), und deshalb über die jahre immer unzufriedener wurde, so dass meine verzweiflung wuchs und meine selbst-achtung abnahm, sondern ich versäumte stattdessen sogar eine stärkung meiner zufriedenheit und meiner selbstachtung, denn, so wird mir klar, ist mir seit jahr und tag klar, nichts erfreut mich so sehr wie ein niedergeschriebener text, ich weiß ja, dass sie nie ganz schlecht und un-lesbar sind. aber aus der furcht heraus, der nächste könnte nur mäßig werden, und aus dem selbst-anspruch, der nächste müsse besser und vollkommener werden, schrieb ich lieber: gar nichts. den nachteil in einen vorteil ummünzen, aus der schwäche eine stärke machen, den fehler als chance begreifen: was heißt, wenn du nicht kontinuierlich an einem text arbeiten kannst, weil du zu viele ideen hast, die du nicht verdrängen, aus denen du nicht auswählen kannst, so dass du über kurz oder lang die lust und die geduld an der ersten (und zweiten und dritten …) idee verlierst, dann verlege dich doch auf das disparate – und komm voran. woran ich mich erinnere, was ich hätte notieren und ins einzelne ausführen können (nicht abzusehen, wohin ich schließlich gelangt wäre, angesichts kleists worte von der verfertigung der gedanken beim schreiben – andererseits: auch wenn es anders scheint, noch ist es nicht zu späte, „du bist doch jung, du hast viel potenzial“, sagt mir s. immer wieder – und nicht nur sie …): (…) wie ich im vorbereitungszimmer phyisk saß, in einem alten couch-sessel, neben dem ein nicht weniger alter, sperrholz-couchtisch, und mir geschichten überlegte, die ich nie aufschrieb, ein südwestdeutsch-westeuropäisches preußen namens rätien, das sich aus einem sammelsurium schwäbischer kleinterritorien die rheinschien entlang zwischen frankreich und die generalstaaten bis zum ozean schob, eine art drittes lotharingien-burgund, das preußens tugenden mit aufklärung, moderne und demokratischer partizipation verband, die soldaten trugen grüne uniformen und der friedrich-moritz baute sich auf einem felsvorsprung, der einen weiten blick in die landschaft eröffnete ein eingeschössiges lust-schloss, das aus einem großen, kreisrunden, mit einer flachen kuppel überwölbten mittelraum, dem arbeitszimmer des monarchen, der zumeist in einer einfachen, ackerbürgerlichen kleidung herumlief, drei flügel in einem abstand von jeweils hundertzwanzig grad entwickelte, wobei zwei flügel das panorama über den felsvorsprung einrahmten (ließ er in den fels schächte graben und stollen vortreiben, an deren ende an den felsen schwalbennesterartig kleine aussichtpavillons gebaut wurden, die sich sowohl über verschlungen angelegte treppen am abhang als auch über die gänge im inneren des berges erreichen ließen), (…) auf seinem abendlichen weg ins palais der königin wurde friedrich-moritz einmal von attentätern überrascht, konnte sich jedoch wehren und die gedungenen mörder in die flucht schlagen, ein kerl von schrot und korn sozusagen und dabei klug wie kaum einer unter seinesgleichen, ein hamlet, der entscheiden kann, er ließ bei seinem regierungsantritt eine kommission einsetzen, die ein jährliches gehalt für ihn festsetzte, aus diesen einkünften finanzierte er die schlossbauten und wirtschaftete darüber hinaus mit dem kapital wie ein kaufmann und händler, der rest des kronbesitzes wurde in eine art stiftung in verantwortung des staates für karitative und bildungszwecke umgewandelt („ich herrsche nicht, ich diene dem gemeinen wohl!“) …; ich erinnere mich an den blick über die dächer der annaberger altstadt, inmitten eines häusergevierts stand eine große esche; im keller der schule herrschte eine gedrückte atmosphäre aus salpeter, kantine und gestockter luft; wir fuhren an den bodensee, nach tirol oder an die ostsee, in den städten wurde ich immer in buchhandlungen oder antiquariaten abgesetzt, dort konnte ich stöbern und lief nicht weg, ein kleiner stapel bücher musste allerdings dann immer bezahlt werden; ich erinnere mich an das rotfigurige muster auf den fehmarner porzellantassen; auf dem weg von der bushaltestelle auf dem markt ins schwarzwassertal wechselte ich gelegentlich die straßenseite, um nur ja keinem schüler der mittelschule zu begegnen, insbesondere nicht jenen, mit denen ich eingeschult wurde, ich fürchtete immer böse anrufe, spott und handgreiflichkeiten; im sommer wendete ich heu, gabelte gras aus dem kastenwagen, immer wurde irgendetwas gebaut – oh, die fotos, die vielen fotos, die ich hätte machen können über all die jahre, ich träumte immer davon, fotos selber zu entwickeln, um zum einen schnell zu sehen, was etwas geworden war und was nicht, und zum andern um mit diesem oder jenem effekt dem bild einen künstlerischen anstrich zu verleihen (…), fotos von landschaften, verfallenen gebäuden und von merkwürdigen objekten wollte ich schon immer machen, eine gewissen leidenschaft für das dokumentarische, das die absurditäten der realität festhält, besaß ich insofern von anfang an, aber die analoge fotografie war mir stets zu aufwändig und für meine zwecke zu unberechenbar (ich besitze kein talent für das analoge fotografieren, da jeder simpel eine digitalkamera bedienen kann, folgert: ich bin kein fotograf); die eindrücke aus der schule, von der feld- und gartenarbeit, von großen und kleinen reisen, von den familienfesten, den kleinen spitzen und den vielen geschichten, die in beliebiger reihung jedes mal wiederholt werden und auf diese weise zum einen gemeinschaft stiften und zum andern kanonisiert werden, wie ein kulturelles gedächtnis im kleinen entsteht, könnte man an der entstehung, entwicklung und variation dieses kanon ablesen, … tu’s, tu’s, tu’s: setz dich hin und fang an zu schreiben. sei gewiss: du versinkst in den zeilen und seiten, berauschst dich am gleiten der feder übers papier und des zeigers über den bildschirm, du vergisst alle zeit und bist – frei, denn das ist es, was du tun kannst, sollst, musst, alles andere wäre vergeudung von zeit, talent und ressourcen. dabei wird jedes neu geschriebene wort deine zweifel besänftigen und deine achtung vor dir selber kräftigen. (…)

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