mitunter stelle ich mir die entrüstung und die kopfschüttelnde ablehnung manches gelehrten über die veröffentlichung autobiografischer notizen vor: so etwas tut man einfach nicht, wenn man als wissenschaftler ernst genommen werden möchte … – aber dann denke ich an die disziplinierende wirkung, die so eine veröffentlichung auf die konstruktion des eigenen lebenslaufs zu entfalten vermag – und bin überzeugt, das richtige zu tun, denn unter dem mantel der nüchternheit liegt in der prosa von gelehrtenkurzviten ein tonfall von ungebrochenem pathos. ein selbstreflektierender geisteswissenschaftler – was wäre mehr zu wünschen? andererseits muss ich mir selbst eingestehen, dass ich bei aller offenheit und widersprüchlichkeit in diesen notaten mancherlei bemerkungen nicht veröffentliche, ja zuweilen nicht einmal notiere – insofern ist es mit der aufrichtigkeit auch nicht so sehr weit her. wie man es auch dreht und wendet, wie man sich auch dreht und wendet, es bleibt dabei: man inszeniert sich immer, denn soviel man auch preisgibt, die ganze eigene wirklichkeit kann man nicht preisgeben, teils der selbstachtung wegen (wobei das nur eine annahme wäre, die bewiesen bzw. widerlegt werden müsste), teils wegen der beschränktheit der eigenen perspektive. es gibt immer eine auswahl und auswahl bedeutet komposition, sei es bewusst oder un- und unterbewusst. man kann sich weder ganz von außen betrachten, noch ist man imstande, alle brillen abzulegen, die man sich seit frühester kindheit aufgesetzt – oder aufgesetzt bekommen hat.

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