beim graben des eisenbahntunnels durch den fels des sankt gotthard halfen sächsische bergleute – wie beim bau des ersten tunnels dieser art auf dem kontinent rief man kumpel aus dem erzgebirge zu hilfe. ihre bergmännische erfahrung und ihre hervorragende ausbildung ebenso wie ihre offene herzliche art würden in der schweiz geschätzt, hieß es. dabei bleibe, wie das grubenunglück in chile unlängst wieder gezeigt habe, die arbeit des bergmanns vor ort gefährlich wie in den zeiten hiobs, als sich die menschen zum ersten mal in die tiefe der erde gruben. vertreib gift, schwaden, böse wetter / hilf, dass niemand zum krüppel werd‘ …, sangen sie ehedem; glückauf! ist unser losungswort / wir hauen das gesteine los / bei licht in steter nacht – die situation des bergmanns vor ort in ihrer existentiellen unmittelbarkeit kann man als die situation des menschen in seiner geworfenheit in die welt schlechthin, also als philosophische situation begreifen.1 es ist trotz aller technik dunkel, kalt und feucht vor ort, keiner kann die gefahren tatsächlich abschätzen und vermeiden. das media in vita in morte sumus steht dem bergmann immerzu vor augen, es ist in ihn gefahren bis in die haarspitzen, bis ins innerste hinein und noch weiter. über tage kann man sich täuschen und den täuschungen hingeben, aber nicht in der teufe. womöglich ist die vielgerühmte frömmigkeit des bergmanns aus dem erzgebirge lediglich eine erfundene tradition, in die sagen und geschichten hineingewoben von frommen pfarrern, die nie vor ort waren, aber denen die vorstellung genügte, um die situation des hauers am äußersten ende des stollens theologisch aufzuladen. wer andererseits die erzählungen von verschütteten und geretteten kumpeln gehört hat, wer die furchtsame frömmigkeit der bergleute am cerro rico kennt,2 wer einmal in eine grube eingefahren ist und mehrere hundert meter gestein über sich wusste, dem leuchtet die gedankenfigur des menschen als bergmann ein. der mensch der moderne wie er geht und steht ist ein homo metallicus. ein bergmensch.
1 ulrike nimz: erzgebirgische tradition im gotthard-tunnel …, in: fp vom 16.10.10, s. 8.
2 richard ladkani/kief davidson: der berg des teufels, 2005.