als hielte sie hof oder als stünde sie einer bürgerliche sozietät vor, sitzt sie auf einem stuhl mit armlehnen, der etwas von einem thron hat. das eine bein hat sie ausgestreckt, das andere hochgezogen und angewinkelt. buddhistische gelassenheit vermischt sich in dieser geste mit amerikanischer lässigkeit. east india meets west india. die perlenkette, die sie in drei reihen um den hals gelegt hat, weder zu eng noch zu weit, verleiht ihr etwas damenhaftes. das ringlein an ihrem rechten nasenflügel bringt diese damenhaftigkeit auf die höhe der zeit. es wirkt nicht kapriziös, sondern bewahrt im gegenteil die damenhafte würde, die sonst gerade kapriziös erschiene, weil sie nicht gegenwärtig wäre, sondern nur aus unfähigkeit zur phantasie die vergangenheit wiederholte.

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ich weiß ja, dass man vom spiegel keine differenzierten beiträge mehr erwarten kann, aber diese panegyrische westgeschichtsschreibung1 schlägt dem fass dann doch den boden aus und verdeutlicht einmal mehr den befund, dass ostdeutschland im diskurs hinten runterfällt (sozusagen hinter den eisernen vorhang) – oder lediglich als negativ-folie zur erörterung und affirmation altbundesrepublikanischer befindlichkeiten verwendung findet. kein 68 im osten, pop ohne bedeutung und wirkung im osten – man staunt und glaubt, nicht recht zu hören. – vielleicht muss man ja tatsächlich von der marginalisierten seite her überzeichnen, um wahrgenommen zu werden, wie es zuweilen rainer eckardt und hubertus knabe tun – aber wäre das redlich?

dänemark führt wieder kontrollen an seinen grenzen ein – und setzt damit de facto das schengen-abkommen außer kraft. der frühere europa-parlamentarier jens-peter bonde verteidigt im deutschlandfunk das vorgehen und nennt das schengener abkommen ein „ideologisches projekt“. ich halte hingegen schon die grenze selbst für ideologie – aber die vorstellung der grenze ist offenbar so tief in der gedankenwelt verwurzelt, dass ihr vorhandensein jedermann ganz natürlich erscheint. in dieser sichtweise ist dann nur jemand im geisteswissenschaftlichen elfenbeinturm in der lage, die absurde überlegung zu entwickeln, die grenze sei lediglich die projektion einer idee in die landschaft. – als ob eine grenze eine natürliche gegebenheit ist wie ein baum, ein felsen oder ein fluss, die man in der landschaft vorfindet – nur weil es grenzsteine, grenzschilder („pozor! státní hranice“), schlagbäume und zöllnerhäuser gibt.2

1 georg diez: triumph der wut (http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,761794,00.html, letzter zugriff: 13.05.11.).



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geträumt: eine frau und ein mann sind im auto unterwegs durch das land. woher sie kommen, wohin sie fahren, weshalb sie unterwegs sind – alles bleibt im dunkeln. sie scheinen auf einer art schnitzeljagd zu sein, zumindest steuern sie verschiedene orte an, treffen dort leute und erbitten von ihnen bestimmte dinge. der mann ist ein zeitgenössischer komponist, der in der neuen musik durchaus bekanntheit und beachtung genießt. während die frau das auto steuert, sitzt er neben ihr und vertreibt sich die zeit, indem er mithilfe selbst gefertigter karteikarten ohne besonderen zweck lernt – dinge nämlich, die er nicht wissen muss, die man aber, erklärt er auf eine irritierte frage hin seiner reisebegleiterin, wissen kann.

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geträumt: ich treffe mich mit einem mann in einem café in kairo, wir tragen beide kleidung, als seien wir eine mischung aus diplomat und dandy der zwanziger jahre, weiter leinenanzug, hut mit breiter krempe; das café ist ebenso zeitgenössisch möbliert: jugendstil und art déco gemischt. die szene ist wie aus einem abenteuerfilm, der im nahen osten zwischen den weltkriegen spielt. archäologen, mumien, roaring twenties. offensichtlich ist es aber hohe gegenwart. am nebentisch nehmen drei frauen platz. mein begleiter erklärt mir mit dem wissen des landeskenners und entsprechender geste: drei expertinnen – die gründen gerade eine partei, eine fußballerin als ruhm-expertin, eine diebin als organisations-expertin und (das verschweigt er, ohne dass mir klar würde, warum) wahrscheinlich eine aktivistin als politik-expertin. – – merkwürdig, wie sich zuweilen aufwühlende ereignisse des tages mit den eigenen karten im kopf, den vorurteilen und klischees verknüpfen.

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geträumt: wir glätteten den boden unter der baracke daheim. ein mineralienkenner trat hinzu und bot an, mir etwas pechblende zu suchen. wir stießen beim graben zunächst auf andere mineralien. ich schlug einen blaßgrünen stein auf, der im innern leuchtend grün war und erklärte altklug, dabei handele es sich um kupfereinschlüsse. wir fanden zwar keine pechblende, aber dafür alte schulhefte von mir, die bereits versteinert waren; nur mühsam ließen sich einzelne seiten voneinander lösen. eines der hefte begann erst an einer ecke zu versteinern, der rest war gewöhnliches papier, das erstaunlich gut in dem dreck erhalten war als hätte es die ganzen jahre im schrank gelegen. ich war über den fund begeisterter als ich je über ein stück pechblende hätte sein können. – später die geschichte eines mannes und einer frau, in der art eines dreidimensionalen erlebnis-kinos: ich war kein akteur, trat nirgends auf, war aber überall dabei und konnte alles beobachten. die szene spielt in einem autoritären kommunistischen regime. die frau wird wegen einer lapalie verhaftet, der mann lässt nichts unversucht, sie wieder aus dem gefängnis zu bekommen. das gelingt ihm zuletzt auch und er dringt bei den gefängnisoberen darauf, ihr die gute nachricht selbst überbringen und sie aus dem kerker holen zu können. dort fallen sich beide in die arme. nun könnten sie zusammen ihr leben verbringen und kinder haben. dabei erkennt der mann, dass sie schwanger ist – und weil er bei ihrer verhaftung längere zeit von ihr getrennt war, wird ihm klar, dass es nicht sein kind ist. am abend ihrer verhaftung schlief sie mit einem guten freund der beiden. bestürzt lässt er sie im kerker zurück, die wächterinnen sind fassungslos über seinen gesinnungswandel.

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eine gewisse ironie liegt in dem ansinnen brasiliens, in der gegenwärtigen krise der europäischen gemeinschaftswährung portugiesische staatsanleihen zu kaufen, um wirtschaft und haushalt des ehemaligen mutterlandes zu stützen. das ist eine neuerliche volte in der geschichte der europäischen expansion, deren nachwirkungen offensichtlich noch nicht vorbei sind. abermals erfährt europa damit eine verändernde beeinflussung. zusammengehörigkeitsgefühle, subtile rachevorstellungen, äußerungen von emanzipation und selbstbewusstsein – all das spielt vermutlich in das brasilianische vorhaben hinein. – die bereitschaft chinas wiederum, ebenfalls staatsanleihen südeuropäischer länder zu kaufen, griechische, spanische, portugiesische, lässt die möglichkeit einer chinesischen expansion in die welt vor der europäischen in einem neuen licht schillern: die flotte des admirals zheng he mit ihren entdeckungsfahrten in südostasien und im indischen ozean bietet durchaus das potential zu einer historischen alternative, in der man sich bei einer fortsetzung der maritimen erkundungen ming-chinas ohne weiteres die ankunft von schiffen aus dem reich der mitte im hafen von lissabon noch zu lebzeiten heinrich des seefahrers vorstellen kann, der in diesem fall vermutlich nicht seinen abenteuerlichen beinamen erhalten hätte.1

1: cerstin gammelin/sebastian schoepp: portugal will nicht gerettet werden … in: sz vom 10.01.11, s. 19.



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die dostojewski-forscherin saraskina beklage etwa die zersplitterung des russischen volkes nach dem ende der sowjetunion, heißt es an einer stelle in einer rezension zu hans-jürgen gerigks und rudolf neuhäusers studie über dostojewski als ideologen des neuen russlands. erst denke ich: russland – das geht mich nichts an, das ist weit weg; was kümmern mich die quälenden träume vergangener größe, die dort geträumt werden. aber dann fällt mir ein, fast schlag-artig: auch das erzgebirge war, eine zeitlang, eine russisch besetzte provinz. die gründe dafür sind mir wohlbekannt und die tatsache sollte es eigentlich auch sein, aber unter einer revisionistischen perspektive stellen sich beklemmungen ein und manch eine politische entscheidung in ostmitteleuropa wird einem plötzlich verständlich: die sympathie mit weißrussen, ukrainern und georgiern, die bewusst gesuchte nähe zu den vereinigten staaten (die rumsfelds definition von old europe und new europe provozierte – sozusagen: neurope …), das geradezu unbelehrbare und reflexhafte misstrauen gegenüber russland. – auch erzgebirgisches uran machte stalin zum kernwaffenbesitzer, auch über erzgebirgische pässe wälzten sich die russischen panzer nach prag, auch durch erzgebirgische wälder kurvten mobile ss-20-raketen, …

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beim graben des eisenbahntunnels durch den fels des sankt gotthard halfen sächsische bergleute – wie beim bau des ersten tunnels dieser art auf dem kontinent rief man kumpel aus dem erzgebirge zu hilfe. ihre bergmännische erfahrung und ihre hervorragende ausbildung ebenso wie ihre offene herzliche art würden in der schweiz geschätzt, hieß es. dabei bleibe, wie das grubenunglück in chile unlängst wieder gezeigt habe, die arbeit des bergmanns vor ort gefährlich wie in den zeiten hiobs, als sich die menschen zum ersten mal in die tiefe der erde gruben. vertreib gift, schwaden, böse wetter / hilf, dass niemand zum krüppel werd‘ …, sangen sie ehedem; glückauf! ist unser losungswort / wir hauen das gesteine los / bei licht in steter nacht – die situation des bergmanns vor ort in ihrer existentiellen unmittelbarkeit kann man als die situation des menschen in seiner geworfenheit in die welt schlechthin, also als philosophische situation begreifen.1 es ist trotz aller technik dunkel, kalt und feucht vor ort, keiner kann die gefahren tatsächlich abschätzen und vermeiden. das media in vita in morte sumus steht dem bergmann immerzu vor augen, es ist in ihn gefahren bis in die haarspitzen, bis ins innerste hinein und noch weiter. über tage kann man sich täuschen und den täuschungen hingeben, aber nicht in der teufe. womöglich ist die vielgerühmte frömmigkeit des bergmanns aus dem erzgebirge lediglich eine erfundene tradition, in die sagen und geschichten hineingewoben von frommen pfarrern, die nie vor ort waren, aber denen die vorstellung genügte, um die situation des hauers am äußersten ende des stollens theologisch aufzuladen. wer andererseits die erzählungen von verschütteten und geretteten kumpeln gehört hat, wer die furchtsame frömmigkeit der bergleute am cerro rico kennt,2 wer einmal in eine grube eingefahren ist und mehrere hundert meter gestein über sich wusste, dem leuchtet die gedankenfigur des menschen als bergmann ein. der mensch der moderne wie er geht und steht ist ein homo metallicus. ein bergmensch.

1 ulrike nimz: erzgebirgische tradition im gotthard-tunnel …, in: fp vom 16.10.10, s. 8.

2 richard ladkani/kief davidson: der berg des teufels, 2005.

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am westlichen abhang des pöhlbergs standen silber-birken (silber-pappeln) und ich dachte, wie vermessen es  eigentlich ist, die vorstellung der alten, das erz wachse im berg immer wieder nach – als uninformierten aberglauben abzutun. ganz im gegenteil dringt es sogar durchs taube gestein bis zur oberfläche und treibt dort baumartig weiter gen himmel.

als ich aus dem wald fuhr, der geyer fast ganz umgibt, schien die welt mit einem mal heller: die täler dehnten sich breiter und der himmel war nicht mehr bedeckt. der lange weg nach westen, kam mir in den sinn. freilich ist die verknüpfung der ideengeschichtlichen meistererzählung von aufklärung und fortschritt mit einer vorfindlichen landschaft lediglich eine zuschreibung und allenfalls eingeschränkt statthaft. selbst wenn man das eigene empfinden als maßstab und rechtfertigung zugrunde legt, muss man sich eingestehen, wie geprägt es ist und wie bezogen auf kulturelle muster und traditionen. die erlaubnis, ein solches erlebnis unbeschwert zu empfinden, ergibt sich dem bewusstsein über seine bezüge und ursprünge. auf diese weise ist man vor leichtfertigen trugschlüssen gefeit – zwar nicht ganz und gar, denn wer wäre unfehlbar, aber doch hinreichend für den tag und die stunde. nach allen überlegungen bleibt es zuletzt so empfunden wie ganz am anfang: als ich aus dem wald fuhr, leuchtete die welt vor mir.

unterwegs nach zwickau berauschte ich mich immer stärker am anblick der landschaft, die weder wildnis, noch städtische zivilisation ist, sondern mir wie ein garten scheinen will, gerade mit dem schweren grünen laub am ende des sommers.

in der stadt selbst war ich mir ganz und gar nicht sicher, ob man sie noch zum erzgebirge zählen sollte oder nicht. es gibt dort keine täler mehr und berge, sondern eine hügelige landschaft, aber zugleich ist die stadt auf vielfältige weise mit dem erzgebirge verbunden, denkt man etwa an die lateinschule mit ihren geistigen wirkungen ins gebirge hinauf oder an die familie römer mit ihren wirtschaftlichen beziehungen zum bergbau dort oben. als ich auf einem straßenschild die richtung nach altenburg gewiesen sah, wurde mir klar, dass ich mich ja die ganze zeit mehr oder weniger auf jener salzstraße bewegte, die seit gut einem jahrtausend halle mit prag verbindet und eben über altenburg und zwickau führt. wenn man sich die kon=texte erschließt, kann man insofern tatsächlich die zeit im raume lesen – und sei es auf einem wegweiser.

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betrübt schon des morgens; im bade=zimmer1 fiel mein blick auf ein handtuch, auf welchem stilisierte muscheln abgebildet waren. zunächst dachte ich an santiago de compostela – und dann stellten sich bilder ein von großen muscheln und schneckengehäusen, die auf einem schreibtisch in der sonne liegen; eine vase voller georginen, die zu welken beginnen, bücherrücken in hölzernen regalen. die schönheit der welt kam mir wieder mit wucht ins bewusstsein und ich war plötzlich erfüllt von einem bebenden enthusiasmus. – auf dem weg ins institut dachte ich einmal mehr, mein leben, so wie es sich mit den jahren ent=faltet, gefällt mir immer weniger. die diskrepanz weitet sich ständig aus zwischen dem, was ich, vor zeiten, tun und sein wollte, und dem, was ich tatsächlich tue (indem ich fast nichts tue), was ich tun kann (fast nichts nämlich) und  was ich infolgedessen bin (fast nichts nämlich).2 irgendwann zer=reißt sie mich, die diskrepanz, wenn nicht äußerlich, so doch zumindest im innern. what have i become? statt zweier seelen, „ach“, nur zwei halbe. aber die flackernden sonnenflecken auf dem asphalt erinnerten mich an die schönheit der welt. schönheit der welt … sie überwältigte mich beinahe, als ich das institutsgebäude betrat und mir eine junge frau mit schwarzem rock und roter jacke ins auge fiel, in das beinahe tränen stiegen. beinahe.

1 was ist der unterschied zwischen „bad“ und „badezimmer“? wann benutzt man das eine wort und wann das andere? wer benutzt es? was sagt es über einen aus, wenn einem als erstes „bad“ in den sinn kommt – oder „badezimmer“? und was sagt es über einen aus, wenn man über diese frage ernsthaft nachdenkt?

2 wer fast nichts tut, ist fast nichts – verhält es sich so?

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