ich wünsche mir immer ein langes leben bei klarem verstand, wenigstens das alter von ernst jünger einstellen und bis über hundert literarisch-essaysistisch tätig und produktiv sein – aber will ich das ernsthaft? einhundert jahre voller angst und selbstzweifel? der wunsch: sich totarbeiten. und dann wieder die augenblicke, wo die zeit nicht genug erscheint, wo es soviel zu tun und vor allem zu denken, forschen und schreiben gibt. man weiß jedoch aus der physik, wärmelehre: das destruktive element, das alle ordnung auflöst, gewinnt am ende die oberhand, wie sehr man sich auch dagegen sträuben mag.
manchmal überfällt mich jetzt der gedanke, dass ich irgendwann sterben und nicht mehr da sein werde, aufhöre zu sein, einfach ausgelöscht. ich weiß noch nicht, ob mich der gedanke entsetzt oder erfreut – vermutlich tut er beides.
nun ja. wenn man ganz ehrlich ist – ewig leben ist doch im prinzip kein besonders reizvoller gedanke…oder?
Zuzusehen, wie alles um einen herum verwelkt und stirbt und man selbst kann nichts tun, ist gezwungen, der ewige betrachter mit gebundenen händen zu sein.
nichts ist ewig. und, da stimme ich zu, die ordnung am wenigsten. wie der mensch zu sagen pflegt, von dem ich die hälfte meiner genetischen erbsubstanz besitze: das chaos ist ein natürlicher zustand und stellt sich von ganz alleine ein – man muss gar nichts dafür tun. ordnung dagegen ist mühsam, unnatürlich, anstrengende arbeit –
warum machen menschen sich eigentlich die mühe, immer wieder ordnung zu halten?
ordnung meint ja nicht nur einen aufgeräumten schreibtisch oder kein abweichendes verhalten. ordnung meint ja vor allem auch zivilisation, durch gesetze geregeltes miteinander, damit keiner dem andern wolf ist. und wenn man keine energie aufwendet, diesen zustand der ordnung zu erhalten, ist im handumdrehen die barbarei da. siehe zwanzigstes jahrhundert. die verantwortung des citoyen für freiheit und demokratie, hat das frank-walther steinmeier in seiner rede zur demokratie in der nikolaikirche im oktober 2008 genannt. – manche leute denken bei ordnung gleich an faschismus. denen ist als lektüre thomas manns „josef und seine brüder“ zu empfehlen, geschrieben 1924-1943, weitgehend auf der flucht und im exil. statt barbarisierung des mythos (rosenbergs mythus des 20. jahrhunderts) die schilderung, wie aus den mythischen zuständen die zivilisation erwächst, in gestalt des biblischen josef, dessen zeitgenossen noch nicht so recht wissen, wer sie eigntlich sind und die sich für wiederholungen mythischer gestalten halten, während josef sozusagen spricht: ich bin.