aus den wurzeln einer obererzgebirgischen scharrhuhnfichte schurrte eine obererzgebirgische fichtenscharrhenne ein silbernes ei. jemand kam vorüber, nahm’s, schlug’s in einen tiegel und erkannte sich im spiegelbild. vielleicht erkannte ich mich, vielleicht beginnt es so.
ich kann mich in alles hineindenken als sei ich es selber, in die fichte, die wurzel, das erdreich, die henne, das ei – aber keiner wagt’s und denkt sich in mich hinein, denn schon mir fehlt der mut dazu. als wurzel von mir als fichte schlummere ich in mir als erdreich, bis ich mir mich als scharrhuhnhenne wegscharre und mich in mir an meinen füßen als silberei finde. vielleicht ist das gar keine fichte, sondern eine föhre, gar keine henne, sondern eine krähe, keine wurzel, sondern geäst und kein silbernes ei, sondern ein goldener spiegel. oder ein fell, das im quellbach hängt und die goldkörnchen fängt oder ein kiesel, der nur im wasser funkelt, oder ein bernstein am meer, der das licht bricht.
der kiesel und der spiegel, die hatten einmal streit. der kiesel schlug in den spiegel ein loch, alles war zu sehen, nur ich erkannte mich nicht, sah in das loch hinein und fiel hindurch, fiel an mir selbst vorbei, am vater vorbei und am großvater und war verschwunden. der kiesel zersplitterte den spiegel und ich erkannte mich in den bruchstücken, in diesem meine nase, in jenem meine ohren, hier meine augen, dort meine hand. aber wie ich die einzelnen teile auch zusammenfügte, ich bekam kein ganzes bild zustande. wie wenig man von sich in einem spiegel sieht. aus großer ferne allenfalls füllte ich einen von den splittern und konnte mich erkennen, soviel man eben aus so großer ferne sieht. das konnte irgendwer sein, dieser und jener, der da und dort der, tomas, wolf und kaspar. der spiegel zertrümmerte den kieselstein in tausende funkelnder kiesellein; jedes brach das licht und sah ich hindurch, erblickte ich die welt dahinter nicht einmal, sondern zehn- und hundertmal. sah jedoch die welt hindurch, sah sie mich nicht einmal, sondern zehn- und hundertmal, sah ich in einen spiegelsplitter durch einen kieselsplitter, sah ich mich mit meiner welt hinter mir zehn- und hundertmal. wer keinen kiesel hat, kann das nicht verstehen, wer keinen kiesel hat, der kann sich nicht versehen.
vielleicht gibt es gar nichts zu finden, nirgendwo, nicht in den wurzeln der fichte, nicht in ihren ästen, nicht im bach und nicht im meer, kein gold, kein silber, keinen bernstein und nicht einmal einen kiesel. vielleicht gibt es nichts zu finden und man gräbt sich vergebens in den berg hinein, gräbt und gräbt durch schicht und schicht, an sich selbst vorbei, am vater und großvater vorbei immer weiter hinab und hinein, gräbt und grübelt und fällt plötzlich durchs sieb, fällt hierhin und dahin zerstreut und muss sich zusammennehmen hier und da und dort. an jedem neuen ort ein andres neues wort, hier heiß ich mueller, lehmann da und schulze heiß ich dort.
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all die vielen steine, vergeblich ausgewühlt oder nicht, jeder behaftet mit mühen und erlebnissen. den einen beim hinaustragen dreimal verloren, den zweiten nur mit stangen und rollen aus dem stollen bekommen und dabei selbst fast erquetscht worden, beim zwölften wurde der schlägel stumpf, beim dreihundertsiebenundvierzigsten war eine woche um, neunhundertdreiundachtzig, zweitausendsiebenhundertfünfundzwanzig, neunzehntausenddreihundertdreiundsiebzig, sechsunddreißigtausendfünfhunderteins … wer in die tiefe dringt, der strebt auch in die höhe; und wenn man schon nichts findet, muss man sich wenigstens beschäftigen. man baut einen turm, eine kirche aus all den vielen steinen. man baut ein haus, stellt einen tisch hinein, legt ein blatt papier darauf und greift zum stift, zur feder, zur gänsefeder, zum gänsekiel.
vielleicht ganz leicht, federleicht, hühnerfederleicht; vielleicht ganz schwer. vielleicht gansschwer, sofern eine gans schwer ist. aber ihre federn machen sie leicht, gänsefederleicht und lassen sie fliegen. vielleicht ist gar nichts anders, sondern tatsächlich so.
so viele kreise öffnen sich und kaum einer, der sich schließt im leben. an einem hängt ein andrer und immer so fort, aber die ersten und die letzten verlieren sich im nebeldunst. wer hineingreift, verheddert und verfängt sich nicht selten selber, ein gefangener seiner selbst. vielleicht beginnt es so. vielleicht beginnt es anders.
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alle geschichten in abzug gebracht, die ich erzählt bekomme und erzähle, alles geschichtete, bleibt wenig, das der rede wert wäre, ein menschlein wie jedes andere, das sich sorgt, das angst, hunger und durst hat, das nicht sterben und keine schmerzen erleiden will, aber freude, befriedigung und macht erfahren möchte. ich hülle mich in diese geschichten wie andere menschlein in ihre hemden, hosen und mäntel, ja ich verberge mich darin vor den ungeheuern und unannehmlichkeiten der welt wie in einem haus. schicht um schicht wird gelegt und je mehr ich preiszugeben scheine, desto mehr verschleiere ich. das ist alles, die innerste wahrheit, mehr gibt es nicht zu sagen … mehr gäbe es nicht zu sagen – wenn nicht die geschichten wären.
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ein stein schlug gegen die fensterscheibe. sie riss, aber sie zersplitterte nicht. wo der stein aufgeschlagen war, hatte sich ein weißer, blinder fleck gebildet, dort sah man nichts mehr. an dieser stelle kreuzten sich alle risse, die wie ein spinnennetz die ganze frontscheibe durchzogen. wer hindurch sah, verfing sich. tomas mueller hielt an und stieg aus. es dämmerte, im tal war’s dunkel, nur die berge gleißten noch im abendsonnenschein. tomas mueller versuchte um- und heimzukehren, aber es gelang ihm nicht, niemand kannte ihn mehr, als hätte es ihn nie gegeben. nur er wusste noch, dass es ihn gab. er war gerade erst aufgebrochen und trotzdem war die rückkehr schon nicht mehr möglich. der stein hatte auf der autoscheibe den punkt unmöglicher umkehr bezeichnet. tomas mueller verbarg sein gesicht in seinen händen. wer keine familie besitzt und keine vorfahren hat, wer keine herkunft mehr hat und geschichtslos gesichtsarm in diese welt geworfen wurde, muss sich eine herkunft imaginieren und behaupten, sie sei seine herkunft.
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„wo kommst du eigentlich her?“
tomas mueller hatte berauscht aufs meer gesehen und wandte sich erschrocken um. manchmal ist mir tomas mueller so nah, dass es keinen unterschied zu geben scheint und es heißen kann: ich. manchmal bin ich mir so fremd, dass ich schreiben muss: tomas mueller. ich weiß nur, was ich schreibe. jede entdeckung, erkenntnis, erfahrung gelingt mir nur schreibend – und sei es mittelbar, weil das entdeckte, erkannte, erfahrene allein zu bewahren ist, indem ich davon erzähle, indem ich mir davon erzähle, schreibend. ich fürchte von jedem neuen satz, was er von mir enthüllt; aber nur was benannt, bekannt, beschrieben ist, das kann bekämpft werden und droht nicht mehr im ungewissen. nur wo das wort flattert, schwirrt und sirrt, lauern nicht länger dämonen. deshalb wird von tomas mueller geredet, der wird mit den dämonen fertig, ich nicht, ich fürchte mich. ja, ich bin so kümmerlich, kläglich, kärglich, dass ich diese identität keinem zumuten kann, nicht einmal einer erfundenen figur; tomas mueller ist so gelassen und gleichmütig, so ruhig und freundlich, so bestimmt und bedacht, dass es mir vermessen erschiene, von mir zu sprechen, wo von ihm die rede ist, und von ihm zu reden, wo es auf mich zu sprechen kommt.
wer weiß, vielleicht sitzt auch tomas mueller am schreibtisch und denkt an eine taumelnde figur, die kreuz und quer läuft, grübelt, redet, die allenfalls staunend mit offenem mund herumirrt und nicht recht weiß, was sie von alledem, von sich und der welt halten soll. vielleicht gibt ihr tomas mueller meinen namen – und lässt sie voller bewunderung von ihm erzählen.
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an einen knorrigen pflaumenbaum gelehnt sah ich den stamm entlang durch geäst und blätter hier und da ein zitterndes gestirn. das gras war kühl, die luft war feucht und die stille angenehm. – was denkst du? – das gespinst der wirklichkeit! (…) so etwas kann auch nur dir einfallen (hast du sie eigentlich schon genagelt? – nicht vom wein musste ich mich übergeben, sondern von diesem dahingesagten wort.) (…) was willst du eigentlich mal machen? – andere lebensentwürfe suchen; mit der suche und dem versuch alternativer lebensentwürfe – im garten der sich verzweigenden pfade – damit möchte ich mich gern beschäftigen.
eine frau trat mir in den weg, wenngleich ich nicht wusste, dass ich überhaupt unterwegs war, sondern vielmehr mit zitternden beinen umherirrte, und fragte mich, woher ich käme, wer ich sei, was ich wollte, vor allem aber, was der mensch denn eigentlich sei. sie ließe mich nicht vorüber, bevor ich nicht geantwortet hätte, und gäbe ich ihr eine falsche antwort, sei es um mich geschehen, sie verschlänge mich sofort.
anfänge, anfänge, anfänge, allerorten lauter anfänge und von noch vielem mehr wäre anzufangen, von kaspar krumpholtz, der auf großer fahrt seinen namen findet und von dessen nachkommen jeweils einer in dem polstersessel stirbt, den kaspar sich nach den entwürfen leonardo da vincis hatte anfertigen lassen, von den zwergen, die mit der zeit gehen und im erlenhügel ein callcenter aufmachen, adressauskünfte, bahnverbindungen und stöhnende zwerginnen und die falk kreuthel als strohmann für ihre geschäfte brauchen, von der schwimmenden akademie, auf der robert eigenwilligs mehr als hundertjähriger großvater noch vor dem ersten weltkrieg als apothekergehilfe anheuerte von des arbeitslosen landmaschineningenieurs wolf entzmanns sternenreise, von dem freiheitskämpferterroristen zhanne, der für eines fremden sternes unabhängigkeit kämpfte und dessen bewusstsein von den besatzern zur strafe in andreas erdtlings gehirn gesperrt wurde, aber es muss auch einmal b gesagt und begonnen werden, chaotisch zwar, doch endlich vorwärts, vorwärts …