geträumt: ich gründete im mittelalter ein kloster und gäbe der gemeinschaft eine neue ordensregel: kein alkohol, kaum fleisch und kein schwein, lesen, schreiben, rechnen für alle mönche, körperliche ertüchtigung und am alten testament orientierte körperhygiene, ein bädertrakt im kloster …
m. w. machte front in der bibliothek, lächelte, ja winkte sogar – ich erinnerte mich der volten, die mein herz schlug bei ihrem anblick vor jahr und tag. frau w-punkt, apostrophierte ich sie seinerzeit. übrigens eine theologin, die sich vielleicht zumindest für die diskussion über gott und die welt gewinnen ließe. aber meine euphorie währte nur kurz, bis ich bemerkte, dass ihr gruß der kommilitonin galt, die rechts von mir saß. sic transit gloria mundi, fällt mir gerade ein und ich überlege, ob es ganz und gar nicht oder doch sehr treffend sei … – trotzdem ließ sie mir mit ihrem blonden haarschwanz, den sie so selbstbewusst und asketisch trägt, keine ruhe. ich lief eine schleife durch die bibliothek und bekam heraus, wo sie saß. – hernach auf der suche nach einem band kunert für den fotokatalog-essay, sah ich sie an der ausleihe. wie ich noch den band im regal suchte, hatte ich das bedürfnis, mich hinter sie in die reihe zu stellen und ein gespräch zu beginnen: kennen wir uns nicht aus dem proseminar mittelalter, du hast damals die martinslegende so bezaubernd wiedergegeben … als ich mich schließlich in die schlange stellte, war sie weiter nach vorn gerückt, andere frauen, allesamt uninteressant für den moment, hatten sich dazwischengedrängt – wer will, kann darin eine einfache parabel lesen. jedenfalls: chance verpasst. ich merke immer erst später, wenn es eine gelegenheit gegeben hat, zwar zuweilen nur kurz später, aber immer zu spät. sie erblickte mich dann doch noch und lächelte mich kühl an, derart als hätte ich dies lächeln durch einen eindringlichen blick erzwungen, ohne es verdient zu haben. vermutlich weiß sie kaum, wer ich bin. so hütet man alle seine kleinen leidenschaften im hamsterbau und meint, die ganze welt wisse bescheid, müsse bescheid wissen und wenn niemand entsprechend reagiert, ist die welt schuld. frau w-punkt.
ich gebe zu, viele meiner texte aus keinem andern grunde verfertigt zu haben, als für diese kurze weile des schreibvorganges andernorts zu sein, abwesend von den äußeren umständen meiner existenz. ich „räume ein“, ich habe mich in niederschriften geflüchtet. ich bin, zumindest stundenweise, aus meinem dasein desertiert, aus einem zeitweilig selbstzerstörerischen getümmel, aus einem entnervenden nahkampf. ich habe mich in sätze zurückgezogen wie in einen unterirdischen bau, um atem zu holen, auszuruhen. die wortfolgen haben die aufregungen gestillt. aber es waren viele worte nötig. (…) vor allem die beschreibung eines zerfallenden hauses tat mir gut, die kurzfristige erlösung trat ein, wenn mich die magische kraft einer aufs gegenständliche gerichteten wörtlichkeit erfüllte, wenn die angerufene sache mir so deutlich erschien, als sei sie berührbar. ich, ja kein anderer als ich, wie ich merkte, betrat bereits mit den ersten flüchtigen silben eines der besagten gebäude, hörte das holz der stufen schon nach den ersten schritten knarren (…) würde man mich heute fragen, wozu ein derartiges eingedenken (…) wohl gut wäre, ich wüßte kaum eine befriedigende antwort. ich müßte mich mit einer gegenfrage aus der affäre ziehen: wo sonst kann man denn eigentlich leben außer in wörtern und sätzen, die den immer unbetretbaren ort benennen?
(günter kunert: heimat, in: ders., schatten entziffern. lyrik, prosa 1950-1994, leipzig 1995, s. 46f.)
es gibt einen text, in dem ich ein altes, frei erfundenes zollhaus, auf einer hochfläche am erzgebirgskamm in der ungefähren mitte zwischen prag und leipzig beschreibe, ich gehe in diesem haus umher, als existierte es, als wolle ich es bauen – dabei hat der text vermutlich keine anderen sinn als die flucht aus der welt, als sei diese alte, kursächsiche zollstation der versuch, den unbetretbaren ort zu beschreiben.
auf einer baumkargen hochebene, neunhundert meter über der ostsee vor kap arkona, in der ungefähren mitte zwischen leipzig und prag, steht ein fachwerkhaus, unten mit einer verputzten, gekalkten bruchsteinmauer, die giebel und das dach mit holzschindeln beschlagen, wettergrau. rings um die ebene haben sich bäche und flüsse tief ins basaltgestein eingegraben und enge täler mit sonderbaren felsfiguren geschaffen, butterfässer, orgelpfeifen, musketenläufe. ein schmaler weg, bestanden von windkrummen ebereschen, denen man die qualen hier oben zu wachsen ansieht (als seien sie alte männer, dürr, faltig, denen hüft- und schultergelenke schmerzen, ächzen und knarren, die aber trotzdem die kähne voller marmorsteine weiter den fluss hinauftreideln), quert die kleine hochfläche von west nach ost. winterfalbes gras breitet sich aus, hier und da ein wenig buschwerk; nuschelnde bäche mit gläserscharfem wasser drücken sich herum; gelegentlich wissen sie gar nicht weiter und werden sumpfig.
das bruchstein-fachwerk-holzschindelhaus hat die in steine gefasste eingangstür nach westen zu; der türrahmen trägt ein sächsisches wappen mit zwei gekreuzten churschwertern und die jahreszahl 1659. es ist ein altes zollhaus an der passstraße ins böhmische über preßnitz, kaden nach prag. einige ulmenbäume umstehen das haus; mehr ein rätsel als ein wunder ist der kleine pflaumenbaum, der sich unter sie gemischt, gestohlen hat, denn wie er in diesem stetigen kalten wind jahr für jahr blüht und früchte trägt, ist weniger wunder- als vor allem rätselvoll. das fachwerk fasst, sofern es nach süden und westen weist, nicht lehm sondern glas.
nachts wölbt sich der milchstraßenbogen über dem haus; aus seinem innern schimmert es kohlefadengolden. knarrende, zeitgeschwärzte dielenbretter darinnen, nussbaumhölzerne vertäfelungen an decken und wänden. eine breite diele hinter der gewappneten tür, mit glatt geschliffenen steinen, rechts eine treppe in die tiefe hinein.
das motiv ist ganz simpel: um zu leben. nicht im sinne von sich-physisch-am-leben-erhalten, sondern in einem anderen, was ich im folgenden zu sagen versuchen will. in jüngeren jahren scheint die anzahl der wählbaren existenzweisen, in denen man aufgehen könnte, unbegrenzt zu sein; so viele möglichkeiten bieten sich an, dass einem vor der vorgeblichen fülle des lebens der verstand, zumindest der wille stillsteht, sich rasch für eine zu entscheiden. man probiert dies und jenes (…) wechselt (…) ideale, um am ende kein befriedigendes resultat zu erhalten. man findet, man habe seine fähigkeiten vertan, die möglichkeiten verspielt, indes andere klug genug gewesen sind, sich beizeiten zu entscheiden. doch auch die anderen, die offensichtlich über jahrzehnte hinweg eine kontinuierliche entwicklung genommen [hier fällt mir der werdegang des historikers s. ein, der nach langer akademischer laufbahn und mühsamem warten – reines warten ist folterqual (thomas mann) – nun einen ruf erhalten hat, man merkt ihm sein inneres jubilieren an, wenn er scheinbar ganz gelassen am geländer im institut lehnt], erweisen sich als unzufrieden: sie wiederum halten das experimentelle, ergebnislose leben für ein prall-erfülltes und sehen das scheitern als ein gelingen an. das rührt von einem tiefen misstrauen gegenüber dem eigenen lebenslauf her, weil ihn fast jeder aus einer irrealen, häufig sogar der trivialkunst entstammenden perspektive wahrnimmt und bewertet. (…) schreiben: weil schreiben nichts endgültiges konstituiert, sondern nur impulse gibt; weil es ein unaufhörlicher anfang ist, ein immer neues erstes mal, wie beischlaf oder schmerz. solange man schreibt, ist er untergang gebannt, findet vergänglichkeit nicht statt, und darum schreibe ich: um die welt, die pausenlos in nichts zerfällt, zu ertragen.
(ders., warum schreiben, in: ebd., s. 140ff.)
die wahre wahrheit, man kann nur abschreiben und abnicken, abschreiben und abnicken: so ist es, so ist es, so ist es. wie ein mantra. – dabei fällt mir ein, dass ich vor zehn, zwölf jahren viel kunert las, eine frühe prägung. man kann nur kommentieren. aber genügt das? wo ist das eigene? – es liegt auf der straße, heißt es dann gleich, man muss es nur wahrnehmen und gestalten können. that’s the point, my dear friend, that’s the point indeed. you’re not to the sky (ist zwar blödsinn, klingt aber dennoch schön, der letzte satz …)