gespräch mit dr. d.; jemand, der verhandlungen führen kann: den partner immer loben und ihm das gefühl geben, ernstgenommen zu werden, aber keine konkreten zusagen machen. – ich frage mich in solchen situationen immer, wie ich auf derlei menschen wirke. schwätzer, scharlatan …
meditation über das gewandhaus-motto res severa verum gaudium. was heißt: etwas ernstnehmen? was tut man im detail, wenn man sich einer sache mit ernst annimmt? man verzichtet darauf, launen und assoziationen nachzugehen, man denkt nur an die sache – gut und schön. wie fühlt sich das an: eine sache ernstnehmen? man bekommt gesagt, hinterbracht, man nehme dieses oder jenes ernst, aber man weiß dann trotzdem nicht: aha, das heißt ernstnehmen – sofern man ehrlich ist. denn man weiß ja selbst am besten: so ernst hat man die sache nie genommen, so strikte hat man sich ihr nicht gewidmet. ein sprachphilosophisches problem, wittgenstein, de saussure, semiotik. wie kann ich wissen, welche bedeutungen mit dem sprachlichen zeichen ‚baum‘ verknüpft sind, selbst wenn ich realisiere, auf welchen außersprachlichen gegenstand es sich bezieht, es erschöpft sich nicht darauf. liebe, arbeit, ernstnehmen. ungeheure unsicherheiten, man taumelt durchs leben und wundert sich, verstanden zu werden …
mein leben erfährt vertiefung durch die texte, die ich produziere. ich laufe herum und denke zuweilen daran, dass ich nicht allein ein gaukler und hochstapler im seriösen gewand des geldverleihers oder gottespredigers bin, sondern gleichsam wie ein treibnetz hinter und tief unter mir all diese texte ziehe. wenn die vertiefung meines daseins die einzige funktion der texte wäre, es genügte. — wenn ich große habe hätte und meine meinung etwas gälte vor den menschen (dabei vermag ich allenfalls ein kleinintellektueller aus der erzgebirgischen provinz zu werden), wenn ich mein leben bestritte und rechtschaffen genannt würde – und hätte doch keine vorstellung von der tiefe meines daseins, von den funkelnden möglichkeiten der existenz, ich wäre nur ein armer knecht, ein korkstück auf den wellen im getriebe. – man verzichtet immer, wenn man sich entscheidet (phrase, binsenweisheit!, grummelt der zweifelzwerg im ohr, der sich für einen stilberater hält), aber auf die lotung der tiefe zu verzichten zugunsten von ruhm und wohlstand, es erscheint mir ein schlechter tausch. freilich: ich kann so reden, ich lebe ja im wohlstand … ich könnte an der welt verzweifeln, aber um wieviel mehr müsste ich verzweifeln, lebte ich auf bescheidenerer stufe. zum verzweifeln immer. woher die kraft zum weitermachen? aus der tiefe, womöglich …
während der feierlichen immatrikulation suchte ich mir unter den sängerinnen des universitätschors, die mir gegenüber auf der orgelempore saßen, eine mit brünetten, langen haaren aus und kam immer wieder auf sie zurück, wenn ich einem gedanken nicht mehr länger nachhängen wollte. ist das schon sexismus? – ein paar kirchenaktivisten enthüllten ein spruchband mit der aufforderung, die christen nicht in die vitrine zu sperren – für eine universitätskirche st. pauli. wie ich noch überlegte, ob ich das transparent fotografieren sollte oder nicht, wurde es auch schon wieder eingeholt. ein weiterer beleg, dass ich nicht zum journalisten gemacht bin – oder man muss es sich vornehmen und sagen: egal welchen eindruck es macht, fotografier!, wenn’s dir notwendig erscheint. mein antrieb ist ja kein entblößen, sondern das staunen (das am anfang der anthropologie stehe) und die verwunderung, was es alles gibt.
am rande der feierlichen immatrikulation erzählte mir der chemiker k. k., seine frau habe ihn immer gescholten, wenn er beobachtungen und geschehnisse notiert hätte. wer das denn lesen solle? und ähnlich hans-erich nossacks antwortete k., wenn in hundert jahren einer oder zweie dies läsen und ihre vergangenheit besser verstünden, so reichte es ihm. genügt das? und, noch wichtiger: kann ich mit diesem geschwafel hier so einen anspruch erheben, ich mediokrer nenn-gelehrter, ich kleinintellektueller. so viel wird geschrieben, lautete da nicht das gebot: schweigen. außerdem: si tacuisses, … – ganz abgesehen von diesen fragen nach der berechtigung gibt es die viel grundsätzlichere frage nach dem unterhalt: wer zahlt die spesen?
ich erzählte c. w., ich erinnerte mich genau daran, wie ich 2003, als der streit um die universitätskirche schon einmal hohe wellen schlug, in der badewanne saß und nur dachte: man müsste sich zu wort melden, aber ich fühlte mich als junger student nicht berechtigt, mich zu wort zu melden. – wenigstens hat sich inzwischen insofern eine veränderung, verbesserung ergeben, als mir zugestanden wird, mich zu wort zu melden. mir ist natürlich klar: es gibt auch dafür gründe, die universiät braucht studierende, die sich für sie aussprechen in der leidigen angelegenheit. spreche ich für mich oder spreche ich für die universität? der ort, an dem man lebt, verpflichte, sagt andrzej stasiuk. ich fühle mich verpflichtet. ich spreche für die universität, weil ich für mich spreche. und so weiter, auch dies ein ausgangspunkt für eine lange betrachtungsspirale, die immer ausgedehntere weiterungen erfährt. man tut gut daran, sich nicht locken zu lassen – und abzubrechen. abbruch als bedingung zum aufbruch – und menschen bösen willens könnten meinen, ich hieße damit die sprengung von sankt pauli gut. wer jedoch etwas auf die meinung von menschen bösen willens gibt, ist, fürchte ich, selber einer … abbruch. – eitel spiegelei, eitler bespiegler.
unumwunden zugegeben und auch vor jahr und tag schon einmal so formuliert: die selbstbeschimpfung als haschen nach wohlwollen. so schlimm, dumm, mittelmäßig, … bist du gar nicht, ganz im gegenteil. – allein, man findet wohl kein urteil über sich, mit dem man sich zufrieden geben könnte – an dem unser inständiges fragen zu einem stillstand käme …
in gewisser weise sucht man sich durchaus auch bestätigung durch andere meinungen, wenn man sich selbst herabsetzt. das ist zwar unangenehm, wenn es zu auffällig wird, aber eine legitime und völlig menschliche methode, denke ich, und ich möchte wetten, dass jeder mensch das schon gemacht hat, und das bestimmt auch mehr als einmal.
die interessante frage ist, wer gibt das offen zu? in diesem zusammenhang fällt mir auch ein passendes zitat von max frisch ein:
„Fragwürdig wie alles, was wir treiben, ist auch die Selbstkritik. Ihre Wonne besteht darin, daß ich mich scheinbar über meine Mängel erhebe, indem ich sie ausspreche und ihnen dadurch das Entsetzliche nehme, das zur Veränderung zwingen würde …“
dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. der mann war ein guter beobachter und menschenkenner…