unlängst erfuhr ich, lila sei die trend-farbe des letzten sommers gewesen – und plötzlich beobachte ich überall menschen in lila kleidungsstücken. ohne die information keine beobachtung, die sie bestätigt – ein zirkel. – f.r. erzählte, vor einigen jahren sei ein wiener journalist zum himmelfahrtstag nach cottbus gekommen, immer auf der suche nach der rechtsradikalen szene – und in der tat habe er auch alles bestätigt gefunden, was das klischee fordere: leere, trostlose plattenbausiedlungen, betrunkene männer, die parolen blubberten, furchtsame ausländer … – und mit evelyn finger und ihrem artikel verhält es sich ebenso. zweifelsohne ist das ein problem der hermeneutik. man wird die eigene voreingenommenheit nie abstreifen können, weil man niemals aus dem zimmer treten kann, in welchem man sitzt. dieser umstand ist aber keine berechtigung, die eigene auffassung nicht zu hinterfragen. damit sei kein relativismus um jeden preis gefordert, aber redlichkeit. gedachten propheten und gedachten journalisten mit nachdruck ins stammbuch geschrieben.

ein pärchen auf dem institutsflur: sie fiel ihm um den hals und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. den andern gar nicht mehr loslassen wollen, festhalten. … will tiefe, tiefe ewigkeit. – wie schaut man, ohne zu schauen? wie staunt man unbeobachtet?

vor dem städtischen kaufhaus drei passanten, die sich das standbild kaiser maximilians ansahen. ich trat auf sie zu und zwang ihnen einen kurzvortrag auf: messeprivileg, gewandhaus, mustermesse. – liegt vermutlich am fehlenden schlaf, da verliert man zuweilen die objektivität in der beurteilung des eigenen handelns – und nachher ist’s einem peinlich. – ich muss darauf achtgeben, dass ich mich nicht zu einem schwätzer entwickle …

abends kam ich noch einmal ins institut, ich las auf einem plakat xula und formulierte so vor mich hin: tchula, tchile, tchocolata, tchetchentchochau, tchemnitch, tchetchien … – ich werde verrückt.

noch einmal: es lässt mich nicht los, es erregt mich weiterhin. wem das herz voll ist, dem geht der mund über. gewiss, man sollte am besten dazu schweigen. das beispiel des michael kohlhaas müsste genügen. aber es geht schlichtweg nicht an, über die universität einen kübel jauche auszugießen und anschließend mit dem zeigefinger auf sie zu deuten: dort stinkt’s. wer keine ahnung hat, sollte seine meinung für sich behalten. was man den studierenden vorwirft, trifft auch zu großen teilen auf die „leipziger bürger“ zu, die sich gezwungen fühlen, an der debatte teilzunehmen. fragt sich nur: von wem? reden vielleicht in gesetzteren worten, aber es bleibt doch vielfach un- oder halbwissen, wenn nicht gar unsinn. und da soll man an sich halten. studierende – jetzt gebrauche ich schon die stura-sprachregelung, soweit ist es schon mit mir gekommen … — da wird einem abgesprochen mitzusprechen, weil man allenfalls neu- oder zwischenbürger sei – aber wenn man die restriktive einwanderungspolitik des rates erwähnt, etwa im umgang mit zuwanderern reformierten glaubens, kann man auch mit einer wand oder einer schreibtischlampe sprechen. überhaupt kann man in der debatte mit einer wand oder eine schreibtischlampe sprechen, es gibt keinen unterschied: ihr herz schließen sie zu, mit ihrem mund reden sie stolz. — erst jüngst am samstag fragte ich mich: wie lang braucht man, um die großartige und kühne idee der universität zu erahnen, zu erkennen und, ein weiterer schritt, zu begreifen? man springt hinein ins studentenleben, mit achtzehn, zwanzig jahren, man wird halb gezwungen: ausbildung! raum zur klärung von selbstverständnis und zur selbstverortung gibt es nicht. die notwendigkeit zur bildung unter der prämisse theoria cum praxi (leibniz) stelle ich nicht in abrede. dieses thema ließe sich weiter ausführen, steht aber hier nicht im mittelpunkt. die universität muss sich vielmehr darüber klar werden, das ist eine unerlässliche bedingung für ihr weiteres gedeihen, was für ein phantastischer, außergewöhnlicher, atemberaubender ort sie ist, sie sein kann. sapere aude. das muss sie ihren besuchern vermitteln, vor allem andern, vor allen fähigkeiten und fertigkeiten. das ist kein ein bonus, es ist ihre basis. universität ist kein physischer ort, universität ist kein seminar und keine vorlesung, das alles sind mittel für die erfahrung, durch denken neue zusammenhänge zu erkennen, sie mit andern zu diskutieren und dadurch immer weiter zu gelangen, plus ultra. kostbare, seltene stunden, aber sie sind universität. wer dies einmal erkannt, erlebt, erfahren hat, um den braucht sich niemand zu sorgen.

polemik ist wichtig, sagt er, aber wie sehr er damit menschen guten willens verletzt, scheint unerheblich. (dabei nehme ich für mich unverfroren einmal in anspruch, durchaus guten willens zu sein …) ich zähle ohnehin nicht, ich war nicht dabei, ich bin zu jung und habe keine meinung, wenigstens keine begründete, die stand hält. mit dem panzer durch mein seelengärtlein zu fahren, ist ein verzeihlicher kollateralschaden. panzer vor, panzer vor; noch einmal stürmt, noch einmal – gegen die glasstahlsteinwand. wie schon gesagt: wie will man auf polemik anders reagieren? ich bestreite niemandem, der die sprengung st. paulis ohnmächtig mitansehen musste, die berechtigung, seine geschichte zu erzählen und sich einzumischen. aber ich halte den kompromiss, wie er nun architektur geworden ist, für eine gelungene synthese, in der aus aufrichtigem erinnern stärke und selbstvertrauen entspringen kann zu einem aufbruch in das neue jahrhundert. -– meinungslosigkeit, da möchte man mit yeats antworten, aber man schüttet lieber kein öl ins feuer. — warum rege ich mich darüber eigentlich so auf? soll doch, wer will gegen wände rennen. immer stürmt, immer stürmt, my dear friends. ich stelle mich derweil in die ecke, wohin ich der meinung manches eiferes nach offensichtlich ohnehin gehöre, zücke stift und block und notiere.

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Eine Antwort zu

  1. Träumerei sagt:

    die texte werden stetig länger, da kann man kaum alles kommentieren ohne sich die finger wund zu schreiben (kleines räuspern in richtung autor), darum greife ich mir nur ein paar zeilen heraus.

    „wie schaut man, ohne zu schauen? wie staunt man unbeobachtet?“ – nun, ich vertrete ja die ansicht, dass man einfach ein gewisses talent dafür haben muss, unauffällig zu sein, bzw. es im richtigen augenblick zu werden. ‚die graue maus‘, wenn man so will…wie sonst könnte ein voyeur überleben? was natürlich nicht heißen soll, dass beobachter automatisch voyeuer im negativen sinne seien (in dem fall müsste auch ich mich dazu zählen), aber wer aufmerksamkeit erregt, kann natürlich weniger unbeobachtet beobachten… insofern ist es manchmal ganz hilfreich, wenn man mit der grauen einheitsmasse verschmilzt.

    im übrigen bin ich für einen guten schuss exzentrik im leben, also denke ich zuweilen auch seltsame dinge (mögen es wortspiele oder sonstwas sein); zum beispiel erzähle ich mir gern selbt geschichten, wenn ich allein bin (das hat dann ein bisschen was von hörspiel und ich spreche verschiedene rollen – jaja, auch ich bin nicht ganz koscher…) und notiere mir die sinnlosesten sachen. aber wenn ich das gefühl hab, ich bräuchte das, dann kann ich eben nicht anders.

    davon abgesehen: ich bin sicher, es geht unzähligen menschen genauso, nur werden es die wenigsten ungefragt einfach so frei heraus erzählen…aber auch das zählt zu den zeitvertreibungen: menschen beobachten und ihr außen- und innenleben imaginieren.

    quasi einen roman im kopf schreiben, wenn man so will.

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