geträumt: ich sähe auf die „karte der wahren namen“, dresden bedeutete „die herrin“, auf der arabischen halbinsel gab es eine stadt, die trug den namen „stadt des buches“, an „kitab“ kann ich mich ganz genau erinnern. – ich stritt mich.
ich erinnere mich genau an ein gedicht, das sich vor jahren fertigte, es muss um 1992 gewesen sein. „äpfel erntet unser opa„, ein gedicht aus setzbausteinen, keines aus dem erleben, wie man das eben so macht und sich nichts weiter dabei denkt. aber ich erinnere mich nicht an den tisch, auf dem ich es schrieb, nicht an den blick aus dem fenster. – mir fällt ein zweites gedicht ein, das den fichtelberg zum thema hatte und das ich auf der reiseschreibmaschine meiner großmutter mühsam tippte, vierzeiler, kreuzreim. wie man das aus der fibel kennt. moderne lyrik war mir unbekannt, ich wusste vermutlich nicht einmal etwas mit den worten anzufangen. und wäre mir ein grünbein-, czechowski-, andruchowytsch oder sonst –gedicht untergekommen, ich hätte darauf reagiert wie der landmann auf haute cuisine. man ist immer beschränkt, man kann sich dessen lediglich bewusst werden und die eigene beschränktheit abbauen – abschütteln kann man sie nie. – s. b. mokierte damals schon, dass ich über (oder unter) das gedicht meinen namen schrieb. meine eitelkeit war immer schon groß, mein leben zog schon damals seine rechtfertigung aus den geschriebenen zeilen. so viel zeit seitdem verstrichen, aber ich kann nichts vorweisen, keinen text, nicht einmal fragmente. immer nur anfänge und träume von texten. ich erinnere mich an die vielen geschichten, die ich mir erzählte ohne sie zu notieren, ich erinnere mich an die faszination von alten karten, die mich zu phantasien in historischer geographie verleiteten. ich erinnere mich an viele stunden des wartens, aber warum bin ich nie auf den gedanken gekommen, das einfach niederzuschreiben, was mir durch den kopf ging. es sollte wohl immer der große wurf sein vom ersten satz an – und diese einstellung lähmt mich bis heute, wenngleich sie sich ein wenig gelockert hat. es besteht also noch hoffnung. die furcht vor dem spott und der entblößung hinderte mich jahrelang am schreiben eines tagebuches. irgendwann, vielleicht 1994/95 sagte o. b., ein draufgängerischer junger mensch, mit dem ich die gleiche klasse besuchte, tagebuchschreiben sei etwas für mädchen. diese aussage hinderte mich jahrelang daran, eines zu beginnen. männlichkeitssozialisation. ich hätte ihm ernst jüngers stahlgewitter und gärten und straßen um die ohren schlagen sollen, mehr traditionelle männlichkeitsvorstellungen geht nicht. – man braucht nach dem beginn aber noch einmal eine reihe von jahren und eine menge lektüre, bevor man eine form findet, die dem eigenen erleben und zugleich dem selbstentwurf entspricht. las ich thomas manns tagebücher, schrieb ich in der art (aber was nützt schon die notiz des tagesablaufs, erst den getroffen, dann jene usw., nach drei monaten erinnert man sich nicht mehr und eine fremder leserin versteht es gleich gar nicht), las ich ernst jüngers tagebücher, schrieb ich in seiner art. erst die kempowski-tagebücher, wohl auch die von hanns cibulka und die wiederaufnahme des führens von notizbüchern, das ich in großem maße s. verdanke, brachten mich zu einer form, mit der ich zufrieden bin, auch wenn ich nach drei monaten darüberlese. der zweifelzwerg in meinem ohr flüstert: was heißt schon zufrieden, man braucht viele jahre, ehe man zwar immer noch scheitert, aber auf einem niveau, das man ertragen kann; heute meint er es gut mit mir, heute lässt er in seine skrupelsuaden zuversicht einfließen. – es kommt weniger auf das chronikalische an als vielmehr auf das bewahren von einzelnen erlebnisfetzen. unter tausend sätzen darin gelingt einem vielleicht einer, der funkelt. – ich brauchte zehn bis fünfzehn jahre, bevor ich begriff, dass keine notwendigkeit für epen besteht, in denen über große zeiträume eine stringente fabel gesponnen wird, gleich ob sie in möglichen vergangenheiten oder zwischen gedachten sternen platz greift. immer mitschreiben ohne rücksicht auf die beurteilung der bedeutung des notierten allein macht schon ein epos. nicht darauf achtgeben, ob andere einen heute oder dereinst einmal für törricht halten. der zensor im kopf verwirft so viele gedanken, zu viele gedanken. ich denke mit bedauern und betrüben an die unzähligen gedanken, die ich hätte notieren können seit den frühen neunziger jahren, wenn mir das (unterstellte) urteil der andern gleichgültig gewesen wäre (insofern wenigstens, dass es mich nicht am notieren hätte gehindert) und wenn ich mir zugleich selbst darüber im klaren gewesen wäre, dass mit der quantität der notizen (wenigstens bis zu einem gewissen grenzwert) schließlich auch ihre qualität gewachsen wäre. der sinnspruch des tonsetzers johann sebastian bach: wer so fleißig die orgel spielt wie er, werde es darin ebensoweit bringen. außerdem stärkt mir dieses notieren das rückgrat und verlehit mir tiefe, so dass ich währenddessen und kurz danach tatsächlich sagen kann: sum. glückliche tage sind tage des schreibens. um wievieles leichter zu ertragen wären damit die all die vergangenen tage gewesen. um wievieles bestimmter und lauter hätte ich sagen können: sum, censeo, amo. – allein, man darf sich nicht in den irrealis flüchten. sum, censeo, amo.
das assoziative ist das schöne an der offenen form des tagebuchs. die schwierigkeit besteht nicht darin, das mir nichts einfällt. sobald ich einige minuten zur verfügung habe, in denen es gelingt, mich in eine besondere position zur welt um mich herum und in mir zu stellen, fällt mir immer etwas ein. die schwierigkeit besteht darin, etwas passendes und folgerichtiges zu finden, um einen größeren text fortzusetzen, den man gerade in arbeit hat. – der schreibtisch, der überall stehen und aus allem möglichen bestehen kann, dieser schreibtisch als treibtisch, mit dem man die gedanken treiben und sich davontreiben lassen kann. ein floß mit einem schreibtisch darauf, an dem ich sitze, treibt übers meer, ohne dass ich die tatsache so recht wahrnehme.
im radio ein lied, in dem der sänger berichtet, er habe eine frau und zwanzig kinder, seine hundert enkel spielten cricket auf dem rasen. wie sehr ist meine vorstellung geprägt von äußeren einflüssen? wie sehr entsprechen meine vorstellungen denen der andern? und: ist das schlimm? – ich sitze im juli des jahren 205* in einem üppig grünenden garten, hohes gras, büsche, bäume, verschlungene wege. ein eingeschossiges, großes gebäude, mit holz beschlagen und dunkel gestrichen voller bücher und tische: die arbeitszimmerflucht. eine tafel unter einer ulme. daran sitze ich. eine ganze reihe von frauen, töchter, schwiegertöchter, die lebensgefährtin und noch ein paar mehr, die nicht genau beschrieben werden können. hier und da kinder. vereinzelt männer meines alters, die mir besuch abstatten …