ich saß an meinem nebenschreibtisch vorm heizkörper und schrieb vor mich hin, ob es gelungene sätze wurden oder weniger gelungene, weiß ich nicht, aber als ich aufsah, ging es auf vier zu. ich erinnerte mich an andruchowytschs worte über stasiuk und dachte zugleich: je stärker du die zeit vergisst beim notieren, desto besser sind die notate. was natürlich nichts heißen muss.
(…) wenn außenseiter unter sich sind, neigen selbst sie zur langeweile. und wirklich groß sind wohl nur die, die sich selbst fremd bleiben. (georg diez, gefahren des idealismus. joan didion stört die obama-party der „ny review of books“, in: sz vom 17.11.08, s. 13.)
ich sah zum ersten mal am tag auf die uhr und das display zeigte an: 11.13 – man liest nur in der welt, was man in sich trägt. insofern hat belsazar tief im innern gewusst, dass babylon fallen würde. die schrift an der wand ist der verdrängte gedanke aus dem kopf. mene tekel upharsin.
heute vor 19 jahren, ein freitag, kalt, neblig, kein schnee, fuhr ich zum ersten mal in den westen. die überwindung des eisernen vorhangs, sozusagen. ich erinnere mich noch an die überfüllte autobahn richtung plauen und hof. – zum ersten mal ist mir dieses datum im jahreslauf bewusst. das hängt zweifelsohne mit der anlaufenden thematisierung des wendejahres in leipzig zusammen, vermutlich auch mit den eigenen reflexionen im umfeld des universitätsjubiläums. aber mir scheinen darüber hinaus noch tiefere gründe zu existieren: seit vielleicht einem jahr werde ich mir zunehmend sicher, was ich will und wer ich bin, klarheit breitet sich aus. das ist kein zwangsläufiger prozess, er kann jederzeit ab- und zusammenbrechen. es kommt auf die menschen an, mit denen man umgang hat. findet man bestätigung? geht es nur mir so?, fragt martin walser. für uns alleine gehen wir ein. es genügt nicht die kammer mit dem schreibtisch. man braucht auch menschen. das ist die wesentliche erfahrung, die ich gemacht habe. ich bin immer noch hin- und hergerissen zwischen kammer und kneipe, aber ich habe eingesehen, dass beides notwendig ist, sonst verkümmere ich.
„zur etablierung eines nachhaltigen konsums ist (…) ein äußerst langer atem notwendig, da er insbesondere auf einem grundlegenden bewusstseinswandel in der studierendenschaft (…) aufbauen muss“ – heißt es in einem rechenschaftsbericht eines referenten im leipziger studentinnenrat. ich erinnere mich an aussagen, man müsste mit einer gleichstellungskampagne in die stadt hineinwirken, weil dort in dieser angelegenheit nichts geschähe, man verbesserte jeden tag ein stück die welt (ironie hörte ich darin nicht, wohlgemerkt). – mit erschütterung muss ich mich fragen, ob ich nicht im grunde genommen genauso überheblich und besserwisserisch bin: ihr habt es nur noch nicht verstanden, ich muss es euch erklären und euch notfalls dazu zwingen. – erkenne dich selbst, gnothi sauton!, stand über dem eingang zum apollon-heiligtum in delphi. ab-grün-de.
in der wahrnehmung manches vermeintlichen demokraten ist demokratie, wenn seine meinung eine mehrheit findet, die minderheiten haben sich zu fügen, es fand ja ein demokratischer entscheidungsfindungsprozess statt. wo aber abweichende meinungen die mehrheit erringen und man selber minderheit ist, wird gleich von „reaktion“ gesprochen und eine drohende faschistische diktatur an die wand gemalt. währet den anfängen usw. – eine recht autoritäre auffasung, will ich meinen. aber ich nazi und rechtskonservativer habe ja keine ahnung.
außerdem heißt es dann immer noch: in ihrem verhältnis zum neoliberalismus sollst du sie erkennen. (dass dabei der begriff „neoliberalismus“ ursprünglich etwas ganz anderes meinte, eher eine art soziale dämpfung der marktwirtschaft manchester prägung, ist entweder unbekannt oder wird als lapalie vom tisch gewischt). mantraartig wird wiederholt, demokratie sei eben nicht die effizienteste form der entscheidungsfindung. wo effizienz herrsche, sei demokratie nicht möglich. effizienzsteigerung heißt demokratieabbau. das bezweifle ich: zwar ist der meinungsbildungsprozess schneller, je weniger akteure eingebunden sind (man vergleiche einmal idealtypisch absolutismus, ständeherrschaften und demokratie), aber je weniger gruppen eingebunden sind, um so größer ist auch die gefahr, bestimmte risiken nicht wahrzunehmen, so dass die falsche entscheidung getroffen und (zu) lange daran festgehalten wird. nicht gerade effektiv, wie mir scheint. – überhaupt: hierarchie, verwaltung und bürokratie sind grundsätzlich böse. – was rege ich mich auf, was rege ich mich auf?