ein interview mit dem vater des wirtschaftsministers, dem dirigenten enoch zu guttenberg, der mir in vielem aus dem herzen spricht. ich begann es zu lesen in der vorstellung, hier plaudere ein bayerischer adliger ein wenig aus dem nähkästchen, dann aber solche sätze: (…) ich habe solches heimweh nach all dem, das schon zerstört ist, nach dem, was jetzt kaputtgeht und sogar nach dem, was noch kaputtgehen wird. die nahrungsketten werden reißen. es wird ein unerbittlichen kampf um überlebensnischen geben, um die rest-ressourcen, ums wasser. solange es noch die ungebremste wachstumsideologie gibt, sehe ich grauen auf uns zukommen, die denen der letzten beiden weltkriege in nichts nachstehen wird. (…) wo soll ich denn meinen optimismus hernehmen, wenn nicht einmal eine rot-grüne regierung es geschafft hat, zum beispiel so etwas geringes wie eine geschwindigkeitsbegrenzung in diesem land einzuführen? das sind doch auch nur knechtsnaturen. (…) ich bin mir leider sicher, dass wird die klimaerwärmung nicht oder zumindest nicht so überleben werden, wie wir es in unserer westlichen zivilisation jetzt gewöhnt sind zu leben. (…) ich bin wahnsinnig bedrückt und melancholisch, weil ich sehe, dass das schiefgehen wird (…) ich kann manchmal deshalb nicht schlafen (…). auf die frage, ob in der gegenwärtigen situation konservative und umweltschützer zusammenkämen, antwortet er: eigentlich gehört das immer schon zusammen (…). und schlussendlich: (…) natürlich tut sich der ein oder andere leichter in seiner unabhängigkeit, aber eine grundsätzliche innere unabhängigkeit sollte bei jedem menschen vorhanden sein. die bemerkung, bei dem neubeurer wohnsitz des musikers handele es sich um einen ehemaligen kuhstall, tat ein übriges. an anderer stelle äußert er: (…) natur und ökologie beschäftigen mich seit meiner kindheit. damals in den fünfziger jahren besaßen wir noch das weingut reichsrat von buhl in deidesheim in der pfalz. von einem tag auf den anderen wurden die schönen belgischen ackerpferde einen kopf kürzer gemacht. dann ruinierte die flurbereinigung die alten römischen weinbergsmauern. und in oberfranken haben sie die schönen täler des frankenwaldes mit straßen zubetoniert. das kann nicht gut sein, habe ich mir gesagt. das sind verbrechen, für die wir einmal furchtbar zahlen müssen. heute schon überschreiten die rechnungen alles vorstellbare. er deutet haydns schöpfung und vivaldis vier jahreszeiten für die gegenwart als eine anklage gegen die zerstörung: haydn erzählt darin von der jahrtausende alten symbiose zwischen mensch und natur, wie ich sie als kind noch ansatzweise gesehen habe. ich weiß, dass haydn bei seinen besuchen in england die ersten schritte der industrialisierung miterlebt hat. gut möglich, dass er sich dachte, er sei einer der letzten, die noch sehen könnten, wie diese symbiose funktioniert. wenn ich das werk dirigiere, bekomme ich jedes mal großes heimweh nach einer verlorenen zeit. (…) wenn sie die jahreszeiten so sehen, wie ich, ist das keine flucht, sondern eine anklage. gegen das, was wir mit dem planeten erde treiben. dass wir aufhören müssen, weiter an dem ast zu sägen, auf dem wir sitzen. das drängendste problem ist für mich die klimakatastrophe. leider habe ich persönlich keine hoffnung mehr, dass uns hier ein umschwenken gelingt. aus der csu war er anfang der neunziger jahre ausgetreten, weil sich max streibl weigerte, an einer demonstration gegen antisemitismus teilzunehmen, mittlerweile sei er aber der partei wieder beigetreten: die umweltpolitik der csu halte ich aber nach wie vor für falsch. die partei gehört dringend entbetoniert. das geht am besten, wenn man dazu gehört. – man mag einwenden: diese adligen mit ihrem so genannten „pflicht-bewusstsein“, mit ihrer familientradition und all den übrigen kinkerlitzchen; naive vulgärmarxisten mögen vom opium fürs volk reden; der gemeine mann, dem man nichts mehr vormachen kann, abgeklärt wie er ist, mag abwinken: was die alles so erzählen, wenn der tag lang ist – wenn ich niemals sorge um mein dasein habe, kann ich große volksreden halten, und überhaupt ist das alles augenwischerei … noch kann ich zwar recht gut schlafen oder schlafe zumindest nicht wegen der verheerenden ökologischen zukunftsaussichten schlecht, aber zuweilen werde ich auch furchtbar traurig, zum einen über die vielfältigen verluste an wild- und auch an kulturarten, an landschaften, lebensweisen, sprachen …, zum andern über die aussichtslosigkeit. es sind zwar immer wieder einmal großtechnische lösungen im schwang, zuletzt die idee, europas stromversorgung über eine enorme anzahl von solarkraftwerken in nordafrika abzusichern, aber man sollte auf der hut sein, was derlei lösungen anbetrifft, einmal zeitigen sie unbekannte folgen (stichwort: kompensationsfolgenkompensation), einmal täuschen sie über die tiefe der krise hinweg. unser lebensstandard wird nicht zu halten sein, neue, intelligente technologie hin oder her. neue technologie ist scheinbar immer irgendwie intelligent – im gegensatz zu alten, dummen, tumben, stumpfen, dumpfen dampfmaschinen etwa. („er ist ein delphin im haifischbecken“. der dirigent enoch zu guttenberg über seinen sohn, den minister karl-theodor zu guttenberg, und die rolle von geschichte, musik und adel in der familie, in: sz vom 15.07.09, s. 5; georg etscheit, was joseph haydn mit der klimaerwärmung zu tun hat – enoch zu guttenberg: ein besuch beim dirigenten, in: die zeit vom 19.03.09.)
in einem gespräch über sein neues thomas-mann-buch wird hermann kurzke gefragt, ob er thomas man für den größten schriftsteller (deutscher sprache, wie man wohl einschränkend annehmen muss) halte. er bestätigt dies und fügt an, bertolt brecht sei in der reihe die nummer zwei. mein weg ist der umgekehrte, erst habe ich brecht kennen- und schätzengelernt, danach habe ich bekanntschaft mit dem zauberer gemacht; von solcherlei reihungen halte ich zwar wenig, aber an diesen beiden kommt gewiss niemand vorbei, der sich mit (deutschsprachiger) literatur beschäftigt – und beide, soviel scheint mir sicher, werden mich durchs leben begleiten. (thomas mann. ein porträt für seine leser, münchen 2009.)