geträumt: wir haben wieder einen kater, allerdings ein ausgewachsenes exemplar. bis auf einen kleinen weißen fleck auf der linken seite ist das fell samtig schwarz. ich frage mich, wie peinlich so ein fleck einer katze sein muss. als ob man ein mal auf der stirn trüge. jeder erkennt: eine promenaden-mischung, mehr nicht. da kann man doch gar nicht mit eleganz, würde, ernst und souveränität durch das viertel schreiten. die katze nimmt schnell besitz vom haus und ehe man es sich versieht, hat sie sich in einem gästebett zur ruhe gelegt, fast sieht man sie nicht unter der bettdecke, nur der kopf mit den ohren ragt hervor und auf der anderen seite die schwanzspitze, die in einem sanften rhythmus wippt. – ich trage ein kanu über eine unbefahrene, mehrspurige straße, es ist nacht, quecksilberdampflampen leuchten; beim tragen hilft mir ein großer wasservogel: ich trage das kanu vorn überm kopf, das hintere ende ist dem vogel auf den rücken gelegt. so schleichen und watscheln wir über die straße.

auf dem weg zu s., während ich an der sportfakultät vorüberfahre, denke ich an w. und wie sehr sie sich nach meinem eindruck im vergangenen jahr verändert hat. sie scheint mir fester und bestimmter geworden zu sein, sicherer im urteil, klarer in den absichten, engagierter, mutiger, sich selbst bewusster – allesamt dinge, die mir fehlen. ich stelle mir ihren tagesablauf vor und stehe staunend vor der imagination, wie ein technikbegeisterter knabe in einer turbinenhalle, wie ein fränkischer ritter in konstantinopel: das gibt es alles also, das alles ist also menschen möglich. der knabe denkt an das wasserrädchen, das er angefertigt und in den bach hinterm haus gesenkt hat, wo es leise klappert (klippklapp …); der ritter denkt an seine zugige burg und das dorf davor, in dem die schweine im schlamm der straße wühlen; ich denke an meine aufgaben, an die vielen zettel und notizen, die einfälle, die ausgeführt werden müssten, nur ausgeführt werden müssten – und werden könnten, nähme ich mir ein herz (meins) und setzte kurzerhand grund- und ur-vertrauen (wider besseren wissens). ich denke an mein dumpfes, stumpfes, planloses, amorphes leben im schwülen, stickichten, amphibischen dämmerlicht. vielleicht hat sie sich gar nicht so sehr verändert, vielleicht habe ich mich nur verändert, wer weiß. wenn ich meine aufgaben nur beherzt angehen könnte: erst dies, dann jenes, mit verve, mit fortune … das alte lied, das alte ideal, der lebens-wunsch: nach vorne stürmen, wo engel furchtsam weichen. ich weiß nicht mehr, heißt es bei rilke: „du musst dein leben ändern“ oder heißt es: „du kannst dein leben ändern“? u. war immer skeptisch, was große planungen und zielsetzungen anbetrifft; s. rät mir das genaue gegenteil: wo willst du in einem jahr stehen, in fünf jahren, in zehn? aus der rückschau auf das jahr 1999, das ich noch sehr präsent habe, aus dem ich noch aufzeichnungen habe und in dem ich mich letzten endes bereits mit den gleichen fragestellungen und problemen herumschlug, folglich bis heute keine antwort und keine lösung fand, sehe ich zum einen, dass meine vorstellungen zu ambitioniert waren, ich rechnete keine rückschläge und keine mühen mit ein, ich nahm an, mir fiele (weiterhin, ja noch leichter) alles in den schoß, ich schätzte und setzte meine eigene trägheit zu gering an. zum andern waren meine vorstellungen zu unspezifisch und nicht detailliert genug, einmal um daran fortschritte ablesen zu können (und gegebenenfalls: veränderungen vornehmen zu müssen) und einmal, um zu wissen, was tag für tag, monat für monat, … zu tun ist. aus der rückschau sind zehn jahre einerseits eine gewaltige zeitspanne, die man kaum ermisst und übersieht, andererseits bieten sie einigen raum, um sich verschiendene aufgaben zu stellen und sie zu erledigen. – bei der lektüre der texte, die mir s. zurückgab, wurde mir zweierlei klar. erstens: ich brauche einen plan für die fertigstellung der texte, der nicht zu dicht sein darf (sechzig seiten in einem monat sind zwar möglich, aber zwei seiten an einem tag sind, aus der erfahrung heraus unrealistisch – zumal wenn daneben noch anderes zu erledigen ist; werden’s mehr, ist die freude umso größer; es dürfen nur nicht weniger sein als vorgesehen; die erfüllung eines plans selbst befriedigt schon). und zweitens: ich kann es schaffen. die texte sind offensichtlich lesbar, man kann mit ihnen arbeiten und daraus etwas vorzeigbares machen. ein plan, genau genug und zugleich offen genug, mit eingebauten kleinen tricks, etwa: immer ein paar gedanken aufbewahren, damit die rückkehr an den schreibtisch nicht zur qual, sondern vielmehr zur lust gerät. man muss sich auf die ersten zeilen freuen, diebisch freuen, um sich nur rasch niederzusetzen und zu beginnen, denn sobald man erst einmal im text steckt, kommt man ein gutes stück voran. mäßigung bedeutet hier: nicht alles an einem tag aufschreiben wollen, was einem in den sinn kommt, um statt zwei oder allenfalls drei vier, fünf, sechs, … seiten zu füllen – mit der folge, in den nächsten sieben, acht, neun, … tagen keine einzige zeile zustande zu bringen.

vor einiger zeit verfolgte ich im radio mit halbem ohr eine sendung, in der es um die gefahren ging, die mit einer allzu unbedachten und unbedarften publikation von bildern, texten und schriftlichen gesprächen im internet verbunden waren. man müsse lernen, sich in diesem medium in einer bestimmten weise zu präsentieren. immerhin vergesse das netzgedächtnis nichts – und, an dieser stelle kam der entscheidende gedanke, jeder personaler befrage erst einmal die einschlägigen und weniger einschlägigen suchmaschinen, bevor er einen zweiten blick auf den bewerber werfe. ich stelle zwar weder anzügliche fotos von wilden orgien ins netz, weil ich nicht zuletzt darüber gar nicht verfüge, noch verwende ich kompromittierende, gewalttätige oder obszöne worte  und wendungen (welches wort ist obszön, gewalttätig? warum? außerdem: man unterscheide davon fiktive, belletristische texte, in denen die konvention gerade darin besteht, konventionen zu brechen), aber man kann sich schon fragen, welche wirkung die veröffentlichung von auszügen (!) meiner tagebuchaufzeichnungen in einem blog hat und haben kann. einschränkend muss ich freilich zugeben, dass ich mit der auswahl trotz allen bemühens um wahrhaftigkeit (wann ist man wahrhaftig, wie weit vermag man aufrichtig zu sein, wo liegen die grenzen der selbsterkenntnis? das nosce te ipsum ist keine leichte sache …) eben doch ein bestimmtes, gewolltes bild erzeugen und vermitteln will. aber das tue ich in veränderter form auch mit den aufzeichnungen insgesamt. der authentische, soziologisch-psychologische blick auf sich selbst ist unmöglich: man steht im blinden fleck seiner selbst. ganz abgesehen davon, dass es bestimmte sprachnormen gibt, die ein öffentliches sprechen über spezifische themen verbieten. man spricht nicht über: die eigenen begierden, die sorgen der eigene existenz, eigene träume, traumata, vorurteile, stereotype, fehler, … es gilt: quod scripsisti, scripsisti. tabus und political correctness hemmen die wahrhaftigkeit, die anpassung an diese muster verkrüppeln das individuum. da lauern dann die verschwiegenen, verdrängten leichen und monstren in den geheimen kammern der seele und schwingen sich zu heimlichen herren auf. nachts, während des schlafes (der vernunft), wagen sie sich hervor, schleichen sich auf die flure und überziehen alles mit einem trüben schleiernetz. sie zu bezeichnen heißt sie bekämpfen, daran glaube ich fest, aber dieser kampf wird einem schwer gemacht. trotzdem vertraue ich darauf, hoffe ich darauf, dass die formel, die dem doktor johann faust die (er-)lösung aufzeigt, auch hier gilt. die beurteilung eines menschen und die bilanz eines lebens müsste also weniger unter dem kriterium erfolg-misserfolg sondern nach der ernsthaftigkeit der absichten und bemühungen vollzogen werden. wenn man sich selber überprüft, stellt man fest, wieviel man eigentlich notieren kann. nicht allein die unfähigkeit zu beobachten und der mangel an beobachtungen selbst begrenzen die menge der notizen, auch die eigenen beschränkungen – neben den gesellschaftlichen tabus – engen den gesichtskreis ein. verblüffend ist die erkenntnis, wieviel es eigentlich zu sehen gibt, wenn man sich von den befürchtungen befreit, was die andern alles denken könnten, denken werden, l(a)esen sie, was man aufgeschrieben hat. ich notierte vor einiger zeit: family off limits. heute frage ich mich: warum eigentlich? aufschreiben kann man alles, was man sieht, denkt, fühlt, …, man muss es ja nicht jedermann zu lesen geben. aber, ich wiederhole mich, das be-schreiben befreit. sehen lernen schließt die späne und balken im eigenen auge mit ein; sie zu entfernen, hat man sie einmal erkannt, versteht sich von selbst. es geht jedoch keineswegs darum, ein marktfähiges bild zu erzeugen, mich etwa personalmanagment-tauglich zu präsentieren. ich verzichte an dieser stelle auf das zitat der bekannten sentenz von max liebermann und belasse es bei der andeutung. es geht um wahrhaftigkeit, wie pathetisch, wie problematisch, wie schwierig dieser begriff und das konzept, das dahinter steht, im einzelnen auch immer sein mag. ich bin mir vermutlich der ansprüche nur begrenzt bewusst, die mit einer solchen zielsetzung verbunden sind (scheitern heißt ja lediglich: nicht ganz gelingen). es geht um eine möglichst authentische, allenfalls (selbst-) kommentierte und immer wieder (selbst-) kommentierte dokumentation der eigenen beobachtungen, befindlichkeiten, meinungen, urteile, … und deren – notwendigerweise – gebrochenen charakter. man könnte sagen: durch die oft wiederholte darstellung von selbst-stilisierungen wird die selbst-stilisierung gerade gebrochen. dabei ist zu bedenken, dass jeder biografische text, ob kurz oder lang, ob er über einen tag berichtet oder über ein leben vergröbernd und stilisierend ist, wie sehr man sich auch um das gegenteil bemühen mag, ja jeder biografische text ist ich-stabilisierend und -konstruierend. es eröffnen sich aber zwischen diesen brüchen für einen selber wie für einen potentiellen leser ausblicke und perspektiven über die einzelnen beiträge, die einzelnen stilisierungs-texte hinaus. man wird dabei womöglich, vermutlich nichts wahres, gutes und schönes erkennen, aber vielleicht spuren von echtem und aufrichtigem.

Dieser Beitrag wurde unter diarium, meta, poetik, selbstethnografie, traum veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert