geträumt: ich unterhielt mich an einer improvisierten kaffeetafel mit einigen mir fremden personen; am rande saß wolfgang schäuble und hörte zunächst mit seinem beredten schweigen zu, bevor er sich in das gespräch einschaltete, als die rede auf den afghanistan-einsatz kam. der raum ähnelte stark einem klassenzimmer im erdgeschoß des annengymnasiums, in dem hauptsächlich geografie unterrichtet wurde. im kern ging es um den verlust von kriegs- und gewalterfahrung im kollektiven gedächtnis; inzwischen sind fünfundsechzig jahre seit dem zweiten weltkrieg ins land gestrichen und diejenigen akteure, die in die erste reihe des berliner politikbetriebs vorstoßen wollen, verfügen nicht einmal mittelbar mehr über erfahrungen dieser art, so dass ungeniert und kaum widersprochen über eskalationsstrategien („panzerhaubitze“1) und ähnliches gesprochen werden kann.

mangelnde er-fahrung hat, so scheint es, wieder einem militärischen machbarkeitswahn das feld bereitet, der katastrophen vorauszugehen pflegt. sommer 1806 – auch wenn in absehbarer zeit kein taliban-napoleon durchs brandenburger tor reiten wird, ist die entscheidende frage, wie man aus dem hindukusch-abenteuer2 kommt, ohne arg das gesicht zu verlieren. ich wollte, führte ich schäuble gegenüber weiter aus, karl-theodor zu guttenberg nicht als kriegstreiber hinstellen, aber bei äußerungen manch anderer habe man so seine zweifel …

als unwichtigem, marginalen deutschen bürger, als „gemeinem mann“, in dem noch immer mehr lutherisch geprägter untertan einer „oberkeyt“ als republikanisch-zivilisierter citoyen steckt und schlummert, wird einem beständig der eindruck vermittelt, regierungshandeln sei kühl abgewogen, vernünftig und gewissenhaft, darüber hinaus halte es immer verschiedene alternativen im blick – während man sich selbst in seiner kleinen, „gemeinen“ welt durch alle möglichen laster wie trägheit, eitelkeit und so fort in situationen manövriert, aus denen man nur schwer herauszukommen vermag. aber um die achtung der anderen und die selbstachtung nicht zu verlieren, zeigt man selten reue, buße, umkehr, legt selten eine entschlossenheit an den tag, tatsächlich schritte zu tun, die aus dieser situation führen. statt dessen wartet man nach art der kaninchen in die bodensenke geduckt ab, ob verhängnis und weltläufte nicht doch vielleicht über einen hinweggehen ohne einen zu berühren. der so genannte afghanistan-einsatz lehrt indes, dass überall nur mit wasser gekocht wird: in berlin, am hindukusch – wie bei dir selber hinter deinen sieben bergen.

je genauer man sich die angelegenheit betrachtet, desto verzweifelter wird man – nicht etwa wegen der drohenden militärischen niederlage, vielmehr wegen der beispielhaften fahrlässigkeit, ja blauäugigkeit, mit welcher das unterfangen begonnen wurde. ärmelhochkrempeln: jetzt wollen wir mal ein wenig demokratie verbreiten … man denkt immer: da müssen unzähige fachleute intensiv befragt, unzählige studien und entwicklungsszenarien erstellt worden sein – statt dessen wurde offenbar einfach drauflosmarschiert, so wie liesgen müller sich etwa ein auto kauft, ohne im mindesten an ihre einkommenssituation zu denken. einrücken mit klingendem spiel und wehenden fahnen, auf denen man sich groß menschen- und insbesondere frauenrechte geschrieben hat – und wenn es nicht so läuft wie gewünscht, mit einer lauen entschuldigung auf den lippen wieder fersengeld geben.

der gußstählernen panzerhaubitze geht in der regel die rhetorische voraus. man möchte zuweilen vor verzweiflung gegen eine wand laufen und vor scham im boden versinken. wäre es nicht die eigene wirklichkeit, sondern nur ein fernsehprogramm, ich hätte längst versucht umzuschalten. dabei bedeutet es keineswegs, dass alles schlecht sei in afghanistan, nur wenn man feststellt, dass dort nichts gut sei.3

1 noch zu jahresbeginn hätte man fragen können, worum es sich bei einer haubitze handelt: a) ein mitteleuropäischer singvogel, der vom aussterben bedroht ist; b) ein artillerie-geschütz mit langer reichweite oder c) ein winterhartes ziergehölz, das ursprünglich aus den hochgebirgslagen des kaukassus stammt? inzwischen gehen solcherlei begriffe wieder so locker von der zunge, als säße man an remarques stammtisch in der heimatfront und räsoniere über die möglichkeiten, die feindlichen linien zu durchbrechen … – wundert sich niemand?

2dieses land wird unter meiner führung für abenteuer nicht zur verfügung stehen„, bemerkte gerhard schröder im sommer 2002, als die vorbereitungen für die invasion am golf anliefen – aber da standen schon deutsche truppen am hindukusch … – ich fühle mich ein wenig beklommen, wenn ich so eine formulierung verwende: „deutsche truppen stehen am hindukusch“. aber derlei ist ja allenthalben wieder im schwang, so als ob nach sechzig jahren die selbstbeschränkung abgeschüttelt werden darf und „deutsche truppen“ wieder irgendwo in der welt „stehen“ dürfen. mir ist dabei ein wenig unbehaglich und unheimlich zumute, diese mischung aus frontberichterstattung und shakespeare verleitet zur selbstüberschätzung. zivile äquivalente sind etwa „nation-building“ oder das „implementieren von demokratie“.

3 nichts ist gút in afghanistan, meinte margot käßmann in ihrer neujahrspredigt, aber alle hörten, níchts sei gut in afghanistan, weil alle es hören wollten – um aufgeregt wie ein hühnerhaufen durcheinanderzulaufen.

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