ich weiß ja, dass man vom spiegel keine differenzierten beiträge mehr erwarten kann, aber diese panegyrische westgeschichtsschreibung1 schlägt dem fass dann doch den boden aus und verdeutlicht einmal mehr den befund, dass ostdeutschland im diskurs hinten runterfällt (sozusagen hinter den eisernen vorhang) – oder lediglich als negativ-folie zur erörterung und affirmation altbundesrepublikanischer befindlichkeiten verwendung findet. kein 68 im osten, pop ohne bedeutung und wirkung im osten – man staunt und glaubt, nicht recht zu hören. – vielleicht muss man ja tatsächlich von der marginalisierten seite her überzeichnen, um wahrgenommen zu werden, wie es zuweilen rainer eckardt und hubertus knabe tun – aber wäre das redlich?

dänemark führt wieder kontrollen an seinen grenzen ein – und setzt damit de facto das schengen-abkommen außer kraft. der frühere europa-parlamentarier jens-peter bonde verteidigt im deutschlandfunk das vorgehen und nennt das schengener abkommen ein „ideologisches projekt“. ich halte hingegen schon die grenze selbst für ideologie – aber die vorstellung der grenze ist offenbar so tief in der gedankenwelt verwurzelt, dass ihr vorhandensein jedermann ganz natürlich erscheint. in dieser sichtweise ist dann nur jemand im geisteswissenschaftlichen elfenbeinturm in der lage, die absurde überlegung zu entwickeln, die grenze sei lediglich die projektion einer idee in die landschaft. – als ob eine grenze eine natürliche gegebenheit ist wie ein baum, ein felsen oder ein fluss, die man in der landschaft vorfindet – nur weil es grenzsteine, grenzschilder („pozor! státní hranice“), schlagbäume und zöllnerhäuser gibt.2

1 georg diez: triumph der wut (http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,761794,00.html, letzter zugriff: 13.05.11.).



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2 Antworten zu

  1. ab sagt:

    und selbst die flüsse und bäume und meist auch die felsen sind projizierte ideen … da vom menschen begradigt, gepflanzt oder gesprengt … was ist noch natürlich in einer kultivierten landschaft … und natürliche grenzen gibt es spätestens seit der erfindung des fährmanns und besonders des piloten wohl nicht mehr … höchstens noch the final frontier nach james t. kirk, aber auch daran wird bekanntlich schwer gearbeitet …

  2. sri sagt:

    das verstörende ist, wie prägend die karte im kopf wirkt und wie natürlich sie erscheint. die karte ist wichtiger als das gelände, heißt es bei huellebecq. und man muss sich ja selbst die antrainierte karte wieder abgewöhnen. dabei hängen sicherheit und grenze eng zusammen. aber die grenze schützt nicht. die distanz im raum vermag einen gewissen schutz zu bieten. sie ist inzwischen jedoch auch keine hürde mehr.

    der himmel ist das limit, sagt jean-luc picard am ende und verteilt – karten.

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