in vormodernen zeiten war es für männer selbstverständlich, einen haushalt zu gründen. heute ist ein konventionelles arrangement für sie weit weniger dringlich.1 – mir scheint das nicht so zu sein, ich beobachte zumindest anderes in dem milieu, in dem ich mich bewege – und eigentlich sind es ja zwei: das traditionelle in der provinz und das akademische in der großstadt. meines erachtens gehört es durchaus zum konzept von männlichkeit, das mir als muster entgegengehalten wird, eine dauerhafte beziehung zu etablieren und darin kinder in die welt zu setzen. bindungswillige frauen mit kinderwunsch hie – männer als emotionale kapitalisten da: diesen schuh ziehe ich mir nicht an. ich bin das gegenbeispiel. natürlich ist mir klar, dass die kosten und die risiken von elternschaft für frauen insgesamt größer sind als für männer. mir ist jedoch bislang keine „bindungswillige frau mit kinderwunsch“ begegnet, aber vielleicht verfüge ich auch einfach nur über zu wenig (soziales, emotionales ect.) kapital, um überhaupt in betracht gezogen zu werden. (…) interessant wäre auch, inwiefern sich der männerüberschuss in asiatischen gesellschaften auf die rolle der frau auswirkt: wo es nach wie vor soziale konvention ist, nachkommen zu haben, sich aber die frauen ihren partner aussuchen können und einige männer immer leer ausgehen, weil schlicht zu viele männer da sind, verändern sich soziale mechanismen und die verteilung von sozialem kapital, denn plötzlich sind es frauen, die es einem mann ermöglichen, sein soziales kapital zu vergrößern. wie die melusine im hochmittelalterlichen epos, die dem ritter ohne land erst zu besitz verhilft (also zur vollen ausbildung seiner männlichkeit in den augen von seinesgleichen), mit der einschränkung, dass er sie beim wöchentlichen bad nicht beobachten darf, bei dem sie sich in ihre fischartige gestalt verwandelt, sozusagen ihr eigentliches oder einen anderen teil ihres wesens zeigt. ich habe mich immer gefragt, wie man zum einen diese figurenkonstellation und die bedingung der melusine in einen realistischen gegenwartstext transformieren könnte – und wie der latente konflikt zu lösen wäre. es geht, glaube ich, darum, der versuchung zu widerstehen, sich den anderen anzuverwandeln und seine fremdheit zu tilgen, es geht mithin darum, den anderen in seinem so-sein gelten zu lassen – was implizit zugleich bedeutet, dass man selbst gelten gelassen wird. es geht darum, die unsicherheiten und ambivalenzen, die eigenen und die des anderen, zu ertragen, aber trotzdem an der beziehung festzuhalten – denn die ist es, die uns so weit ver-vollständigt oder besser unsere mangelhaftigkeit weiter als irgendetwas anderes auszugleichen vermag, dass wir ungleich berechtigter person sein können.

1 eva illouz, „macht euren kinderwunsch nicht von liebe abhängig!“, in: spiegel-online vom 11.10.11, url: http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,790592,00.html [letzter zugriff: 11.10.11]); ferner tobias haberl, freiheit als schicksal …, in: sz-magazin vom 07.10.11, s. 36-38; außerdem eva illouz, warum liebe weh tut. eine soziologische erklärung, bln. 2011.

 

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3 Antworten zu

  1. ab sagt:

    meine erfahrung: in einer beziehung (auch freundschaft) geht es darum, einander immer wieder zu begegnen. der andere/ die andere ist immer eine facettenfremde/r. die umstände verändern sich, der mensch verändert sich. die menschen fragen „und? was macht die liebe?“ weil sie alle die einsamkeit kennen. und für die meisten ist die „liebe“ der einzige trost. für andere wiederum ist das einzige gegenmittel intellektuelle betätigung. konsequenz kann nur die gegenfrage sein: „und? was macht die bildung?“ … manche menschen seien gar mischwesen, habe ich gehört und leben beides. lebens-modelle generalisieren, vereinfachen und das hilft ja auch ab und an – gewichten jedoch, ergänzen, das eigene leben gestalten darf jeder selbst. was spricht gegen ein leben voller kleiner, wieder aufladbarer, verfügbarer lieben, die dem individuellen selbst entsprechen? bücher, kaffee, teppiche, freundliche gespräche… ach, was schreibe ich da… worauf will ich hinaus… jeder tag zählt… jeder tag ist anders… jedes leben ist anders… auch wenn von außen alles gleich aussieht… … … … … wenn es von außen nicht gleich aussieht, werden die menschen bloß daran erinnert, was alles noch hätte sein können in ihrem leben… das halten viele nicht aus… weil so viele enttäuscht sind von sich… weil die familien oft nicht den karrieremodellen entsprechen… weil die karrieren oft nicht den familienmodellen entsprechen… es war noch nie so leicht wie heute – in zeiten der individualiserung – , alles falsch oder alles richtig zu machen… immer abhängig davon, mit welchem individuum man gerade zusammen geprallt ist… … … …

  2. sri sagt:

    bücher, kaffee, freundliche gespräche – einverstanden. aber: teppiche?

    das problem sind m. e. die modelle und muster, die wir im kopf haben (und die uns kleineren teils bewusst sind, größtenteils aber nicht). an ihnen richten wir uns aus, sie wollen wir verwirklichen – immer in der meinung, dann fühlten wir uns (glücklich). auch wenn die gegenbeispiele legion sind, in der welt- wie den familiengeschichten, erfahrungsresistent nehmen wir anlauf und rennen gegen die nächste wand, indem wir die wirklichkeit dem modell in unserem kopf anpassen wollen. selbst wenn wir über diese zusammenhänge ein wenig bescheid wissen, ändert das zunächst einmal wenig an unseren erwartungen (die wir für bedürfnisse halten) und an unseren befindlichkeiten. – ich rede natürlich nur von mir, aber wir wissen ja aus dem erkenntnistheoretischen proseminar: die beobachtungen werden zweifelhaft, wenn das beobachtungsobjekt mit dem beobachtungssubjekt zusammenfällt.

    von dem neurobiologen gerald hüther ist mir die sentenz in erinnerung geblieben, unsere gehirne wollten im grunde nur zwei dinge: probleme lösen (das könnte man als bildung oder welt-kundigkeit bezeichnen) und sich mit anderen gehirnen vernetzen (was nichts anderes als geselligkeit meint, freundschaften, liebesbeziehungen und alles was dazwischen liegt).

    die frage, wie man sich von den besagten mustern und modellen (und der eigenen orientierung daran) emanzipiert, mündet in der herausforderung, eine haltung zu entwickeln, die es einem ermöglicht, mit dem aktuellen moment zufrieden zu sein oder, anders ausgedrückt und mit stärkerer betonung der eigenen handlungsfähigkeit: aus der je vorfindlichen situation das beste zu machen. (leicht gesagt, freilich, aber schwer umzusetzen – deshalb eben: herausforderung.)

  3. sri sagt:

    nachtrag einer besprechung des in rede stehenden buches (einschließlich einer verknüpfung zu einem weiteren interview mit der autorin): dradio kultur vom 13.10.11 (vgl. http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1577965/, letzter zugriff: 13.10.11). – problematisch erscheint mir die abkopplung von vergangenen wirklichkeiten: „heute sucht man den richtigen, früher reichte ein richtiger.“ die bemerkung von novalis (wohlgemerkt einem bedeutenden dichter der romantik), wir suchten immer das unbedingte, fänden aber stets nur menschen, beschreibt dieses scheinbar so moderne phänomen bereits vor zweihundert jahren. die beiden extrempositionen (die „konservative“, wonach menschen immer gleich empfinden, und die „progressive“, wonach die empfindungen und das empfindungsgeleitete handeln der menschen beeinflusst ist von den sozialen und kulturellen rahmenbedingungen und sich mithin im laufe der geschichte wandelt) lassen sich zwar nicht vereinbaren, aber das grundproblem besteht darin, dass empfindungen zu unterscheiden sind von empfindungsäußerungen, die erst recht einem gesellschaftlichen code unterworfen sind, damit man sich seinen zeitgenossen verständlich machen kann. was wir von den altvorderen und ihren empfindungen wissen, sind die äußerungen ihrer empfindungen. da gibt es ein gewisses quellenproblem, zumal für den großteil der vergangenheit nur die empfindungsäußerungen von intellektuellen überliefert sind, die mit ihrem weltwissen (etwa der kenntnis von schöner literatur – die wiederum durchaus eine zeitenübergreifende normierungsfunktion von empfindugsäußerungen hat) nicht unbedingt repräsentativ sind: wir wissen nichts aus der partnerschaft eines bauernpaares aus dem schwaben des 10. jahrhunderts.

    ferner kann die „männliche distanziertheit“ m. e. nicht nur als eine „zwar ökonomisch angemessene aber emotional fatale reaktion auf diese neuen sozialen tatsachen“ gesehen werden, sondern auch zum einen als eine orientierung an (durchaus überkommenen) männlichkeitsmustern: ein mann verhält sich vernünftig und hat seine leidenschaftlichen gefühle unter kontrolle, ein mann ist gestalt gewordene ratio – und hat so zu sein und zu handeln. insofern ist das verhalten sozusagen als vir oeconomicus in ein männlichkeitsbild eingefügt, das bereits von einiger dauer ist. man erinnere sich nur an das rollenmuster des „strengen vaters“. zum anderen mag die beschriebene distanziertheit von männern im einzelfall auch eine emotional nachvollziehbare reaktion auf die unverbindlichkeit sein, die mit der emanzipation im westen einhergeht. während in den letzten dreißig, vierzig jahren sukzessive ein neues frauenbild geschrieben wurde (bei allen problemen mit der gläsernen decke und allen rückschlägen, die gerade in jüngster zeit zu beobachten sind), ist das männerbild im großen und ganzen das alte geblieben – oder es ist mit neuen anforderungen ergänzt worden, so dass es widersprüchlich geworden ist: ein muster, dem man(n) nicht mehr entsprechen kann. robert habeck hat dazu einige aufschlussreiche beobachtungen gemacht (verwirrte väter oder: wann ist der mann ein mann, gütersloh, 2008). es könnte ja womöglich auch sein, dass unterm strich männer emotional instabiler sind als frauen – und die distanziertheit einfach eine wohlüberlegte vermeidungs-strategie (rational choice) ist, emotional kompromitiert zu werden – entweder weil die kleinen jungs nie gelernt haben, mit emotionalen konflikten umzugehen (ein indiander weint nicht!), oder weil sie es weniger gut können. ich glaube aber an die lernfähigkeit jedes einzelnen, es bedarf nur der einsicht, der anleitung und der freiheit zum lernen.

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