den ganzen tag beschäftigte ich mich mit meinem zettelkasten. das erfreuliche daran war der umstand, dass ich bei dieser arbeit die zeit vergaß. seit einigen tagen versuche ich, eine übersicht der orte im erzgebirge zu erstellen. zunächst geht es mir darum, ein besseres gespür für die ausdehnung des raumes zu entwickeln, damit ich im weiteren einen genaueren, systematischen zugriff darauf bekomme. als ich anfang januar mit dem zug nach von annaberg nach dresden fuhr, kam mir ungefähr am haltepunkt erdmannsdorf/augustusburg ein abenteuerlicher, aberwitziger plan in den sinn, den ich natürlich niemals werde verwirklichen können – vor allem, weil ich mich niemals an meine eigene pläne halten kann. ich bin eben, auch zu meinem eigenen leidwesen, kein macher, sondern allenfalls ein projektemacher. der plan jedenfalls besteht darin, sich neben den aufgaben des tages woche für woche einen ort im erzgebirge vorzunehmen und mithilfe der gängigen landeskundlichen, landesgeschichtlichen nachschlagewerke darüber einiges in erfahrung zu bringen – und den ort nach möglichkeit zu besuchen, sowohl von leipzig wie auch von j. aus ist das ohne weiteres möglich. die körperliche erfahrung des raumes ist immerhin noch etwas ganz anderes als das büchergelehrte wissen. in grenzen unbegrenzt sei die landesgeschichte. dementsprechend sollte der anspruch schon darin bestehen, diese grenzen auszuloten, damit man weiß, wovon man spricht. hinter dem vorhaben steht die überlegung, aus der fülle des detailwissens historiografische ideen entwickeln zu können. ich kenne zwar eine ganze reihe von (größeren) orten im erzgebirge, aber alle meine streifzüge, erkundungen und exkursionen hatten bislang einen unsystematischen charakter: wohin sollte ich mich nur zuerst wenden? die schiere zahl der möglichkeiten überforderte mich. in meiner neigung zu irrealen konjuktiven der vergangenheit malte ich mir aus, ich hätte diesen plan schon längst verwirklichen können, wenn ich die idee dazu gleich zu beginn meiner verstärkten hinwendung zum erzgebirge im frühjahr vor sechs jahren gehabt – und zu umzusetzen begonnen hätte. da könnte ich heute einen triumphschrei tun und sagen: oberleutensdorf, klar – die textilbetriebe der waldsteins; beim stichwort morgenröthe-rautenkranz die hammerwerke samt besitzern und verwandtschaftsverhältnissen wie einen rosenkranz herunterspulen und wenn die rede auf scheibenberg kommt, nicht nur einen stehgreifvortrag über christian lehmanns chronistentätigkeit halten, sondern auch auf die regelmäßige, schachbrettartige anlage der stadt verweisen … – kurz bevor ich ins bett ging, nahm ich meinen taschenatlas zur hand und stellte fest, dass es im engeren sinn um den raum geht, der von den städten falkenau/sokolov – graslitz/kraslice – reichenberg – hainichen – freital und aussig/ustí nad labemeingefasst wird. ––– ich überlegte lange, wie ich einen entsprechenden kartenausschnitt verwenden könnte, um ihn zu veröffentlichen. zuletzt fiel mir das angebot von openstreetmap1 ein. allerdings entsprachen die scharfen linien, die ich zwischen den besagten orten einzeichnete, nicht meinen ästhetischen vorstellungen – auf der hand liegt ohnehin, dass es sich nur um näherungswerte handeln kann, denn ein so ungefährer geografischer begriff, wie es das erzgebirge nun einmal ist, lässt sich nicht mit zehntelzentimetergenauigkeit auf dem messtischblatt abzirkeln. nach einigen versuchen mit schlankeren linien kam ich auf die idee, eine reihe von ortsnamen am rand des in rede stehenden raumes auf dem kartenausschnitt einzuzeichnen. mit diesem verfahren erreichte ich zweierlei: zum einen wird die unschärfe der abgrenzung deutlich, zum andern wird mit den ortsnamen eine zusätzliche semantische ebene eingezogen, so dass die karte noch verstärkter auf die karten im kopf verweist als wenn sie eine bloße landkarte wäre. außerdem konnte ich so carlfriedrich claus, dem annaberger kalligraphen mit weltgeltung eine referenz erweisen, wie ich es schon lange beabsichtigte, aber bislang nicht wusste, auf welche geeignete weise es zu tun sei.

das erzgebirge mit seinem fransenden rand: klösterle an der eger/klášterec nad ohří – kaaden/kadaň – komotau/chomutov – görkau/jirkov – brüx/most – dux/duchcov – aussig/ustí nad labem – kulm/chlumec – tetschen/děčín – reinhardtsdorf-schöna – königstein – pirna – lungkwitz – freital – wilsdruff – siebenlehn – nossen – hainichen – mittweida – burgstädt – limbach – oberfrohna – glauchau – lichtenstein – werdau – mylau – lengenfeld – falkenstein – schöneck – graslitz/kraslice – rothau/rotava – falkenau/sokolov – neu rohlau/nová role – schlackenwerth/ostrov – klösterle an der eger/klášterec nad ohří.

1 vgl. http://openstreetmap.de/karte.html (letzter zugriff: 11.02.12); daten von openstreetmap – veröffentlicht unter CC-BY-SA 2.0; ausschnitt und bearbeitung vom autor.
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Eine Antwort zu

  1. sri sagt:

    in einem interview mit der deutschen welle über sein buch „terror und traum. moskau 1937“ (münchen 2008) äußert sich karl schlögel wie folgt: „der ort zwingt historiker dazu, die situation zusammenzudenken, die in der arbeitsteilung der wissenschaft häufig auseinanderdividiert werden: der eine macht kino, der andere macht terror, aber in wahrheit gehören diese dinge zusammen. historiker müssen doch so eine art von panoptischen blick oder eine umfassende sicht der dinge haben und können sich nicht nur einen punkt herausgreifen“ (url: http://www.youtube.com/watch?v=Uji4_zM2eDA, letzter zugriff: 29.04.12). – das bestärkt mich in der auffassung, die erfahrung des raumes zu suchen, in dem sich die vergangene wirklichkeit zugetragen hat, die ich zum gegenstand meiner untersuchungen und überlegungen mache. das ist freilich auch nicht weiter verwunderlich, immerhin ist karl schlögel einer derjenigen, die mich auf die spur von raum und landschaft gebracht haben.

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