gegen das ende hin mit dem literaturnobelpreisträgerzitat vielleicht etwas dick aufgetragen, aber im grunde zutreffend über den impuls zur publikation im netz: (…) denn bei aller vielstimmigkeit hat dieses selbstgespräch, stellt robert musil in „der mann ohne eigenschaften“ fest, auch etwas beruhigendes. der schriftsteller spricht von der „erzählerischen ordnung der dinge“, in die die menschen ihre leben bringen und die ihnen sicherheit schenkt. (…) mittels des online-publizierens können sie sich einschreiben in den faden der erzählung, ihren eigenen lebensfaden einweben in die aufreihung all dessen, was in raum und zeit und vor allem öffentlich geschieht. (…) es wäre falsch zu glauben, dies sei den bloggern (…) nicht bewusst, wenn sie sich veröffentlichen. sie interpretieren es aber anders: weniger als möglichen „stolperstein für ihre berufliche karriere“ denn als versprechen dessen, was das ziel eines jeden gesprächs ist: gegenseitiges verstehen. vielleicht, so die hoffnung, gibt es draußen jemanden, dem es genauso ergeht wie mir. herausfinden wird man es nur, wenn man sich veröffentlicht. man sollte also vorsichtig sein, die wachsende veröffentlichung im netz einzig als indiz für einen fortschreitenden kulturellen niedergang zu lesen. zielführender wäre es, der häufig abschätzig gestellten frage des warum die frage nach dem wie entgegenzuhalten. denn schließlich wirkt die formulierung „leben, um davon zu erzählen“ nur für all diejenigen wie das motto eines geschwätzigen internet-nutzers, die vor lauter kulturpessimismus vergessen haben, dass der literaturnobelpreisträger gabriel garcía márquez so seine autobiographie betitelte. (dirk von gehlen, über uns. die kritik am missbrauch von daten hat ihre berechtigung. aber warum geben viele im internet ihre persönlichsten dinge preis? eine diagnose, in: sz wochenende 216/2009, s. 1.)
unlängst wurde auch eine studie veröffentlicht („amerikanische forscher haben herausgefunden …“ dass es zu fuss weiter ist als übern berg und braune schuhe wärmer sind als hohe …), wonach das internet eben gerade nicht zu einer ent-alphabetisierung führt. da teilhabe daran nur durch lese- und schreibfähigkeit ermöglicht wird, zwingt es (verlockt es …) zur alphabetisierung und zur ständigen verbesserung dieser fähigkeit. auf diese weise schlägt in mehr fällen als bisher, wenngleich auch nicht in allen, die quantität irgendwann in eine neue qualität um. außerdem weckt die vielfalt einerseits den ehrgeiz, es wenigstens genauso gut zu machen, wie diese oder jener, und andererseits die schöpferische gestaltungskraft, um sich in dieser vielfalt stärker abzuheben. besagte studie ermittelte, dass die hälfte von texten heutiger studenten netzpublikationen sind – die vergleichsgruppe aus den neunziger jahren schrieb und publizierte nicht etwa anderswo, sondern gar nicht. insofern kann man die angebote und möglichkeiten des so genannten web-zwei-null auch als impulsgeber für eine neue literarizität betrachten: es wird nicht grundsätzlich besser geschrieben, indem mehr geschrieben wird, aber es entsteht doch eine größere zahl von texten höhere qualität. der untergang des abendlandes ist aufgeschoben, was man statt dessen beobachten kann, ist eine weitere transformation, aber das war ja schon zu gutenbergs zeiten so.
die frage bleibt: bin ich etwa ein blogger? weil mein impuls zum (be-)schreiben des eigenen lebens, zum „mitstenographieren“, aus dem wunsch kommt, zu verstehen und verstanden zu werden, sich auszusetzen und in die weltnacht zu halten, um zu sehen, ob es da draußen noch jemandem so ergeht. ich möchte vielmehr annehmen, dass das medium des weblogs meinem ohnehin und schon lange zeit (immer …) bestehenden bedürfnis entspricht, sich auszudrücken und mitzuteilen. aber das sind, bei lichte betrachtet, nur galant-gelehrte versuche der differenzierung und distanzierung. zuerst und zuletzt verhält es sich so, da zitiert von gehlen musil ganz zutreffend: die meisten menschen sind im grundverhältnis zu sich selbst erzähler. vielleicht kann man die großhirnrinde noch genauer als eine erzähl-maschine statt als eine sinnstiftungs-maschine beschreiben, denn wie wird sinn anders gestiftet als durch erzählungen? es geht darum, die verwirrenden und widersprüchliche vielfalt der wirklichkeit in einen nachvollziehbaren, widerspruchs-freien zusammenhang zu bringen. sich in der welt verorten und in der zeit. geschichte schreiben durch geschichten-schreiben, wenn man so will. insofern ist es ganz zutreffend, von der geschichte als lehrmeisterin des lebens zu sprechen. – ich äußere mich, um mich zu ver-orten. wenn dabei ein teil dieser äußerungen ver-öffentlicht werden kann, weil es die möglichkeit dazu gibt, heißt das nicht, dass ich ein blogger von echtem schrot und korn bin – oder wir wären’s alle. ohne jeden zweifel ist es so, dass ich mit diesen veröffentlichungen dem rauschen der texte nur einen unbedeutenden klang hinzufüge. aber das ist nicht die entscheidende kategorie.