unlängst las ich in einer kurzen mitteilung über den tod bogdan bogdanovićs, man erschlösse sich eine stadt, indem man sie durchwanderte.1 zum einen wurde ich an gerhard grafs eindrückliches diktum erinnert, die landschaft sei die quelle, zum andern mit bogdanovićs belgrader hintergrund unwillkürlich an karl schlögels und claudio magris‘ flanierendes verfahren kultur- und literaturgeschichtlicher erkundungen einer weltprovinz. ich dachte an leipzig und meine gelegentlichen, aber unsystematischen und unsteten streifzüge durch seine straßen; als ich vor jahren einmal abends auf dem weg zu u. das elsterflutbecken überquerte, fiel mir ein, leipzig sei zwar nicht die welt, aber in einem literarischen modus könnte man es pars pro toto dafür gelten lassen; und später einmal, auf dem mitternächtlichen rückweg von s. setzte ich mich im palmengarten an das elsterufer und beobachtete, wie das wasser erschöpft an mir vorüberfloss, und ich war mir für augenblicke nicht sicher, ob es sich bei den häusern und lichtern ringsher um die urbs lipsia oder eine namenlose afrikanische metropole an naipauls biegung des großen flusses handelte, ja im trägen glucksen des flusses hielt ich es sogar für möglich, dass eine wasserfrau daraus entsteigen könnte und mich in das atlantische landgut des studenten anselmus und seiner geliebten serpentina geleiten. ich trug mich folglich schon geraume zeit mit dem gedanken, die wanderungen, erkundungen, streifzüge durch leipzig unter dem gesichtspunkt der stadt-erschließung wieder aufzunehmen, fortzusetzen, auszuweiten. als ich schließlich vormittags im radio einen seelenforscher empfehlen hörte, sich zu bewegen, um das selbstwirksamkeits-empfinden zu stärken und einer allgemeinen niedergeschlagenheit vorzubeugen,2 hielt es mich kaum noch auf meinem stuhl vor meinem bildschirm an meinem schreibtisch.
taborkirche, kleinzschocher.
bahnhof plagwitz.
1 richard swartz, der katzenlehrer. architekt und schriftsteller: bogdan bogdanović gestorben, in: sz vom 21.06.10, s. 11.
2 „(…) also, ich denke, wir alle bewegen uns zu wenig. das klingt zwar ein bisschen banal jetzt, aber es sind vielleicht ein bis zwei kilometer, die wir am tag noch uns bewegen. wir wissen, dass bewegung antidepressiv wirksam ist und auch das selbstwirksamkeitserleben stärkt.“ (frank vitinius im dlf, vgl. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1236755/, letzter zugriff: 31.07.10).