zum geleit

pechblende ist ein mineral, das sich an der luft schwarz verfärbt. es enthält radium in einem verhältnis von drei zwanzigstel gramm auf zehn tonnen. tief verborgen im tauben gestein befindet sich ein leuchtender, strahlender stoff. das ist die erste perspektive, die für die nachfolgenden notate gelten soll. pech ist das gegenteil von glück. glück heißt gelingen, pech bedeutet scheitern – scheitern meint insofern alles nicht-(ganz)-gelingen: alle augenzahlen von eins bis fünf. die glücks-blende ist insofern die rosarote brille; die pech-blende bietet raum zur differenzierung und fasst viele sichtweisen in einer komplexen optik, sie bewahrt am besten vor der katastrophe. das ist die andere perspektive.

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in diesen zeilen wird viel die rede sein von gelesenem und seinen autoren. ein kommentar zu einem kommentar zu einem kommentar … schriebe man auf pergament oder ritzte zeichen in tontafeln, man überlegte sich vorher gründlich, was man mitteilen und festhalten wollte – so aber wird viel text produziert, der nur immer mehr text provoziert. schreiben ist lesen, das zum schreiben anstiftet, sagt friederike mayröcker. je mehr man folglich liest, desto mehr schreibt man. aber was? auf tausend sätze kommt vielleicht einer, der gelungen ist. vermutlich ist das verhältnis sogar noch schlechter. diese unmengen an text für eine handvoll gelungener sätze? wer soll das denn alles lesen, mag man berechtigt fragen. fragt sich der autor selbst, häufiger als es gut für ihn wäre. aber was wäre denn die alternative? verstummen und verschwinden? solange zeit und gelegenheiten vorhanden sind, spricht nichts gegen die textproduktion. der autor zwingt niemanden zur lektüre, er bietet an und versteht dieses medium als laboratorium. — ein bergmann alteuropas schaffte mit schlägel und eisen einen vortrieb von einem meter im jahr. wie viel taubes gestein muss man aus dem felsen schlagen, bevor man zehn tonnen pechblende zusammen hat? die gewinnung von einem gramm radium ist eine lebensaufgabe gewesen, die mit hohen ehren belohnt wurde, die aber auch ihren preis forderte, mühen und ein früher tod.

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niemand wird hier eine meinung finden, vielmehr mindestens zehn davon. gegen-, ein- und widersprüche. wer nur eine meinung hat, tut sich selbst gewalt an. die besten sind ohne überzeugung, während die schlechtesten / erfüllt sind von leidenschaftlicher inbrunst, möchte der autor mit yeats reden, aber damit rechnete er sich unter der hand zu den besten, was seine sache nicht ist. der autor wünscht sich in seinem schwanken und zweifeln manches mal die gewissheit eines standpunktes, auf den er alles beziehen kann, von dem aus er alles beurteilen kann, loben und noch lieber tadeln, prinzipienfest. aber zuweilen erscheint ihm seine mangelnde verortung alles andere als ein nachteil. vermutlich verfügt er sogar über prinzipien und einen standpunkt, wie eng begrenzt, wie weit gefasst auch immer, aber er kann sie nicht erkennen. seine eigene meinung verbirgt sich im blinden fleck des autors.

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der autor ist kein originärer denker. unter schmerzen kam es ihm allmählich zu bewusstsein. es erfüllt einen mit bitterkeit, die eigenen mediokrität erkennen und mit ihr trotzdem weiterleben zu müssen. der autor schätzt die eklektik; er kann freilich auch nichts anderes als gedanken, fundstücke und beobachtungen zu collagieren, einmal so und einmal anders wieder. — es ließe sich beklagen, wie wenig man eigentlich von den klassikern versteht, wie obenhin man liest, wie gewiss man sich seiner deutung ist. nachgerade peinlich ist dem autor, mit welcher naivität er vor jahr und tag thomas hobbes las und er kann sich die scham vorstellen, die er in einigen jahren empfinden wird, denkt er an seine luther-deutung von heute. — der narr häuft an, der weise wählt aus. der autor hält sich nicht für einen weisen, woraus nicht zwingend folgt, dass er ein narr sei; aber darin ist er sich nicht sicher. nichtsdestoweniger trägt der autor seine steine zusammen, wie sie ihm unter die augen kommen, gneis und granit, kieselsteine und katzengold, schichtet sie aufeinander und schlichtet sie neu.

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aus dem gesagten ergibt sich die notwendigkeit einer poetik der fassungen. was bedeutet: ein ständiges umschreiben findet statt. die poetik der fassungen greift in erster linie auf die form. der inhalt soll weitestgehend authentisch bleiben, um den charakter des dokumentarischen zu erhalten. es liegt zwar auf der hand, dass veränderungen der form unweigerlich veränderungen im inhalt nach sich ziehen, aber es wird mit einem solchen verfahren keine (höhere) stromlinenförmigkeit, sondern vielmehr ein plus an klarheit, schärfe und präzision angestrebt. nach auffassung des autors ist damit das ideal der wahrhaftigkeit, das als utopie in seinem kopf und jenseits dieser zeilen schwebt, keineswegs gefährdet.

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bei diesen notizen und aufzeichnungen handelt es sich zunächst um synchrone mitschriften des lebens. deshalb sind tippfehler unvermeidlich; hinweise dazu werden gern angenommen und berücksichtigt.

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