die kahlen eichenbäume im verschneiten clara-zetkin-park machten einen caspar-david-friedrich-eindruck. die sonne ging unter und sah aus wie eine blutorange, der himmel im westen war mit dünnen schleierwolken verhangen; sonne und schleierwolken ließen das geäst der parkbäume hervortreten wie auf einer kunstfotografie. die kälte und die gedämpften stimmen der parkbesucher taten ein übriges, dass ich mich wie ein komparse in einem traurigen französischen film aus den siebziger jahren fühlte, der einen proustartigen fin-de-siècle-roman zum gegenstand hat: das kindermädchen und der ältere sohn lieben sich, sie treffen sich noch einmal im park, aber es ist nicht nur alles aussichtslos, ist auch schon alles gesagt, sie sitzen schweigend eine weile auf einer bank, sie mit ihrer schwarz-weißen gouvernantentracht, er in einem eleganten braunen anzug, mit hut, handschuhen und spazierstock. dann setzt er den hut auf, schlägt sich mit den handschuhen beim aufstehen leicht auf den rechten oberschenkel und geht zügigen schrittes aus dem bild, die kamera wendet sich ab und macht eine totale auf den park, im hintergrund seufzt leise ein spätromantisches streicheradagio. sie wird kurz darauf in einen anderen stadtteil vermittelt, er heiratet wenig später eine frau aus verarmter, aber gut beleumundeter noblesse du robe und geht auf wunsch und dank der beziehungen beider familien nach indochina. das kindermädchen stirbt später als vereinsamte alte frau in einer kalten, feuchten kellerwohnung anfang 1918 an der spanischen grippe. er betrügt seine frau mit den vietnamesischen köchinnen, zimmermädchen, zugehfrauen, sie sieht sich das in ihrem hochgeschlossenen weißen spitzenkleid eine weile an, contenance toujours, bis ein amerikaner auftaucht, mit dem sie eine affäre beginnt, teils aus rache, teils wegen der unbeschwerten verwegenheit, die der schlapphuttragende haudegen ausstrahlt. er verschwindet schnell wieder, die ehe geht in die brüche, schleppt sich aber noch bis in die zwanziger jahre hin, dann lässt sich die frau scheiden und geht zurück nach südfrankreich, wo ihre familie eine schloß aus dem ancien regime besitzt. dort feiert sie große erfolge als künstlerin, indem sie auf aussortierten alltagsgegenständen, türen, fenstern, schrankteilen, tischplatten expressive landschaften und porträts malt und gebrauchte keramiken, krüge, tassen, teller mit feinkörnigen bunten mineralien überzieht. dort stirbt sie hochbetagt und allem anschein nach zuletzt nicht ganz unglücklich in den siebziger jahren; vielleicht ist das der ausgangs- und schlusspunkt des films. er bleibt in indochina zurück, weil die familie ihn verstoßen hat und wohl auch verarmt ist, wird alkoholiker und verliert allmählich den verstand. vor der zeit altgeworden, dick und schwerfällig wird er bei einem nichtigen streit im rotlichtviertel von saigon erstochen. er torkelt über die straße und fällt in den rinnstein, wo er im strömenden regen stibt. wieder wendet sich die kamera ab und macht eine totale, wieder seufzt das bekannte streicheradagio.

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