ich kann es mir nur so erklären: weil vermeintlich alle anderen hierzulande vermeintlich undifferenziert in kalter-kriegs-manier das verhalten der putin-administration kritisieren, schlägt sich jakob augstein unbekümmert auf die seite moskaus, um eine publizistische gegenmeinung zu äußern und so aufmerksamkeit zu erzeugen.1
vielleicht ist er aber auch auf dem östlichen auge blind? denn wie kann man amerika, ja den ganzen westen2 schlechthin eines unverhohlenen imperialismus zeihen, zugleich aber gänzlich übersehen, dass putins handeln nicht im mindesten weniger imperialistisch geprägt ist, gespeist von überkommenen vorstellungen russischer größe und nichtverarbeiteter phantomschmerzen angesichts eines verlorenen imperiums. der zusammenbruch der sowjetunion sei die größte geopolitische katastrophe des letzten jahrhunderts gewesen, wird putin immer wieder zitiert. die sowjetunion muss man jedoch, zumindest was ihr verhältnis zu ihrer nachbarschaft gleichwie zur welt insgesamt anbetrifft, wohl schlichtweg als die fortsetzung des zaristischen imperialismus mit kommunistischen mitteln betrachten.
augsteins „freitag“ firmiert gern als linke wochenzeitung. darin wird einem ständig vermittelt, das linke beinhalte vor allem eine aufgeklärte, auf das schicksal des einzelnen hin ausgerichtete weltsicht. dann ist es mir jedoch schleierhaft, wie augstein zustimmend und unbekümmert von der ukraine als teil der russischen interessensphäre reden kann. bei dem stichwort fühle ich mich vielmehr an das great game der alten männer erinnert, die auf der karte willkürlich grenzen ziehen, nicht aber an eine emanzipative perspektive auf die welt.
augstein bemüht bismarck: wie das zweite kaiserreich sei russland nach der einverleibung der krim auch saturiert. schwingt da sympathie mit dem autokratischen altmärker mit? das ist nicht zuletzt deshalb aufschlussreich, weil sich vor nicht allzu langer zeit alexander gauland bei der vorstellung des ersten außenpolitischen papiers der alternative für deutschland ebenfalls auf bismarck bezog: wie in zeiten des eisernen kanzlers und des alten preußens, solle sich deutschland außenpolitisch stärker an russland binden, denn damit sei es nie schlecht gefahren. „mehr bismarck wagen“ – so ähnlich klingt mir das jetzt auch bei augstein und im freitag.
einen seitenhieb auf die beiden ungeliebten ostdeutschen merkel und gauck kann er sich schließlich nicht verkneifen, wenn er deren gegenwärtige russlandpolitik als traumabewältigung verunglimpft. vielleicht hat er ja recht und ich arbeite mich meinerseits auch nur an einem womöglich dazu noch: eingebildeten ddr-trauma ab. indes, trotz abhörskandal (was macht eigentlich die russische auslandsaufklärung?) bleibe ich dabei: lieber in einer amerikanischen als in einer russischen provinz wohnen.

1 etwa märchen vom irren iwan, in: der freitag vom 06.03.14, s. 1, zuletzt: putin und die ukraine-krise: das falsche feindbild, in: spiegel-online vom 23.03.13, url: http://www.spiegel.de/politik/ausland/augstein-kolumne-putin-und-der-westen-in-der-krim-krise-a-960354.html (letzter zugriff: 23.03.14).

2 besonders verwunderlich ist es dabei, wenn man selbst im westen lebt und immer gelebt hat. das ist dann ungefähr so, wie in deutschland auch immerfort von den „deutschen“ die rede ist, wenn es um das dritte reich und den nationalsozialismus geht, als sei man selbst aber eben kein deutscher, sondern irgend etwas anderes.
kritik am eigenen land ist immer bitter nötig und vermutlich sogar die einzig angemessene form von patriotismus. aber so wenig wie man das handeln der eigenen regierung bedenkenlos beklatschen darf, so wenig darf man sich in der kritik an ihr bedenkenlos die patriotische propaganda der anderen zu eigen machen.
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