in der bibliothek saß tatsächlich wieder s. c.; sie kam vorüber, ich tat so, als sei ich beschäftigt, um herauszufinden, ob sie vorüberliefe oder ein wort sagen würde. sie klopfte auf den tisch und wir unterhielten uns, erst im lesesaal, dann im foyer. ich hatte den eindruck: die ist nur nett. ich stehe aber nach wie vor am fenster, das halb den blick ins freie öffnet, halb mich und den raum hinter mir spiegelt; ich sehe weniger hinaus als vielmehr vor mich hin und weiß nicht recht, was ich von all dem halten soll. ihre nähe und vertrautheit über den tag hinaus wünsche ich mir; alles übrige, weitere, steht mir nicht recht zu, so wird mir zunehmend klarer. wie komme ich überhaupt darauf? das alte lied, immer wieder der gleiche fehler. ihre freundlichkeit ist verblüffend, ihr strahlendes gesicht geht mir nahe, ich schließe die augen und sehe sie lächeln. sie tut mir gut, in welcher weise auch immer. — ich erinnere mich dieser tage daran, wie ich sie vor vielen jahren einmal abends in der innenstadt traf, mit anderen medizinern kam sie von einem konzert. sie sah so souverän aus, sie macht den eindruck einer frau, die mit beiden beinen auf festem grund steht. aus den begegnungen, die einem der zufall in die hände spielt, das beste zu machen, das ist am ende vielleicht die einzige aufgabe, die man erfüllen kann.

gustav seibt schreibt in der süddeutschen unter der überschrift „wir schuldenmacher“ über die gegenwärtige finanzkrise, krise des kapitalismus:

die oft diagnostizierte umstellung des kapitalistischen systems von arbeit auf konsum – letztlich eine auswirkung des historisch wohl vorübergehenden, auf dem öl basierenden energieüberflusses vor allem seit den fünfziger jahren des 20. jahrhunderts -, diese umstellung hat langfristig einen neuen menschentypus herangebildet. das sind wir, die schwerelosen, heiteren und leichtsinnigen bürger der wohlstandszonen auf der nördlichen hemisphäre des erdballs. (…) vielleicht kann die aktuelle krise im verein mit der auf lange sicht viel tiefgreifenderen energieknappheit, die sich in dramatisch steigenden preisen ankündigt, zum ausgangspunkt einer umsteuerung nicht nur an der spitze, sondern auch an der basis geben. wenn die menschen wieder am eigenen leib erfahren, wie geld und arbeit zusammenhängen, dann kann das kapitalistische system, diese komplexe, großartige, freiheitsverbürgende errungenschaft der menschheitsgeschichte, vielleicht zu seiner ursprünglichen ehrbarkeit zurückfinden.

wir enkel, die wir dieser menschentypus geworden sind und nur mit schmerzen uns werden ändern können, wir müssen verzichten, uns bleibt gar nichts anderes übrig. womöglich müssen wir stärker verzichten als es mit blick auf die europäischen verhältnisse vor der systemumstellung geboten erscheint, denn die energie wird knapp und knapper und es sitzen mehr menschen am tisch, die sich nicht ohne weiteres mehr davon abdrängen lassen werden. – ich wiederhole: analog zum weight watching sollte man eine art consum watching betreiben, bei dem man sich gegenseitig fragt, ob man diese oder jene anschaffung tatsächlich braucht – von textilien über technische geräte bis hin zu, ja: büchern, schließlich gibt es bibliotheken …

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2 Antworten zu

  1. Träumerei sagt:

    leichter gesagt als getan, bedenkt man, dass einem das besitzstreben quasi in die wiege gelegt wird (gut, es gibt auch ausnahmen, aber die sind wohl äußerst selten). gute vorsätze nehmen sich ja immer gut aus, aber die umsetzung…ach ja.

    konsum ist meiner meinung nach eine viel zu menschliche eigenheit, als dass man ihn je loswerden könnte.

  2. autor sagt:

    das ist ja gerade die frage: genetische disposition oder kulturelles muster. das musst du haben. ganz unbedingt. — meine mutter will mir gelegentlich eine neue hose oder ein neues hemd kaufen. früher bin ich noch darauf eingegangen. inzwischen lehne ich das aber ab. nicht etwa aus dünkel oder aus emanzipationsversuchen. ich habe übergenug hosen und hemden, dass ich mir in den nächsten fünf jahren (zehn jahren) keine kaufen müsste. und so geht es weiter. technische geräte, tonträger, wein, tee und andere luxuslebensmittel. brot, wasser, billiger beuteltee tun’s auch. freilich: ich kaufe mir dann doch hin und wieder einen tonträger oder etwas grünen tee. – aber wie oft kauft man sich etwas, um sich besser zu fühlen – und fühlt sich danach nicht besser. wäre es da nicht hilfreich in zweierlei hinsicht, man hätte wen zur seite, der einem im kaufhaus fragt: brauchst du das wirklich? einmal zur dämpfung der ressourcenausbeute (da müssen wir hierzulande über ein kurzes ohnehin abstiche machen oder die ganze welt geht zum teufel), einmal zur steigerung des persönlichen wohlbefindens, denn es kann doch auch glücklich machen, der versuchung widerstanden und nichts gekauft zu haben. nochmal: ich weiß nicht, ob einem nur beigebracht und eingeredet wird, man müsse kaufen, kaufen, kaufen. das hat schon etwas religiöses. früher wurden menschen geopfert, damit der weltenlauf weitergeht, heute muss man kaufen (binnenkonjunktur), damit die welt nicht untergeht; einkaufszentren haben etwas tempelartiges, verkäufer und noch mehr so genannte wirtschaftsexperten etwas von priestern. ich kann an keine „invisible hand“ (adam smith) glauben. das soll mir erst einmal einer nachweisen, dass sich aus dem profitstreben des einzelnen in summa das gemeinwohl ergibt. das scheint mir doch eine zu simple rechnung zu sein, als dass sie die vorgänge in der welt beschreibt. — der kapitalismus ist das bislang beste verfahren der güterverteilung. aber entgegen der prognose von francis fukayama stehen wir nicht am ende der geschichte.

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